orte des wissens: Verschwinden inbegriffen
Versenkt: Jochen Gerz' Harburger Mahnmal gegen Faschismus
Der Polizist am S-Bahnhof Hamburg-Harburg reagiert zunächst irritiert, wenn man ihn nach dem „Mahnmal gegen Faschismus“ fragt. Doch wenn man ihm eine Abbildung zeigt, weiß er gleich, wo es ist. Oder besser – wo es versenkt ist: Beim Straßenschild „Sand“ und der Treppe, die auf den Harburger Marktplatz hinunterführt. Dort ist ein gemauertes Backstein-Halbrund zu sehen. Die Plattform wird von einem Geländer umgrenzt. Wer dort steht, sieht die Tafel, die in sieben Sprachen und anhand mehrerer Abbildungen über die Entstehungsgeschichte des Mahnmals informiert, aber auch die bündig in den Boden eingelassene quadratische Metallplatte.
Im Januar 1983, zum 50. Jahrestag der nationalsozialistischen Machtübernahme, hatte die Bezirksversammlung Harburg die Errichtung eines „Mahnmals gegen Faschismus“ beschlossen. Die Besonderheit des 1986 begonnenen und 1993 vollendeten Mahnmals lag in der partizipativen Konzeption des Künstlerpaars Esther und Jochen Gerz. BürgerInnen konnten auf einer zwölf Meter hohen Säule ihre Gedanken notieren. Entsprechend der wachsenden Zahl der Inschriften wurde die Stele in Etappen versenkt.
Gleichsam als „Abschluss“ blieb die Platte sichtbar. An der Fußgängerunterführung unterhalb der Plattform befindet sich eine Metalltür. Durch deren schmales, schadhaft eingedrücktes Gitter fällt der Blick auf einen Teil der Stele. Ihre Kritzeleien wirken verwittert. Hier ist die gleiche Informationstafel wie oben angebracht sowie eine Plakette mit den Namen der beiden Künstler und der Jahreszahl der Einweihung 1986.
Dass das Mahnen vor dem Faschismus in dieser Republik unabschließbar sein müsse, hatten Esther und Jochen Gerz bedacht. „Wir laden die Bürger von Hamburg und die Besucher der Stadt ein, ihren Namen hier unseren eigenen anzufügen. Es soll uns verpflichten, wachsam zu sein und zu bleiben. Je mehr Unterschriften der zwölf Meter hohe Stab aus Blei trägt, desto mehr von ihm wird in den Boden eingelassen. So lange, bis er nach unbestimmter Zeit restlos versenkt und die Stelle des Harburger Mahnmals gegen Faschismus leer sein wird.“ Zu der „Leerstelle“ gehören die Worte: „Denn nichts kann auf Dauer an unserer Stelle sich gegen das Unrecht erheben.“
Die Tücke eines Denkmals liegt im Umgang der Menschen damit. So wie der Marktbrunnen zeitweilig als Pinkelrinne benutzt wurde, dient Gerz’ Mahnmal aktuell als Fahrradstellplatz. Wer nimmt den Ort überhaupt als Teil eines Mahnmals wahr, da die Debatten um seine Entstehung und dessen Realisierung nun 30 Jahre zurückliegen? Schon 2010 sprach das Hamburger Abendblatt vom „vergessenen Mahnmal“.
Ob seinerzeit bedacht worden ist, was das zum Verschwinden gebrachte Mahnmal ausstrahlt, und ob seine Botschaft über die Jahre schwindet? Eines setzt das Harburger „Mahnmal gegen Faschismus“ voraus – eine sensible res publica. Seine Bildlosigkeit fordert die Imagination heraus, wie Jochen Gerz’ „2146 Steine – Mahnmal gegen Rassismus“ in Saarbrücken (1993). Die Pflastersteine vor dem Saarbrücker Schloss wurden neu verlegt, nachdem ihre Rückseiten mit den Namen der vor dem Zweiten Weltkrieg existierenden jüdischen Friedhöfe versehen worden waren. Die Stadt benannte den Schlossplatz dann in „Platz des unsichtbaren Mahnmals“ um.
Wie beklemmend, dass in Harburg zwar ein ebenso reflektiertes wie sublim begründetes politisches Kunstwerk realisiert wurde, das nur noch bedingt kenntlich ist. Was geschieht nun mit diesem Mahnmal, das nicht mehr mahnt? „Vielen Harburger Bürgerinnen und Bürgern ist der Sinn, ja sogar die Existenz dieses weltberühmten Mahnmals nicht bekannt.“ Mit diesem Argument beantragten die Grünen im Kulturausschuss der Harburger Bezirksversammlung 2019, der Bezirk möge klären, wie er mit seinem Mahnmal umgehen möchte. Der Antrag wurde vertagt. Frauke Hamann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen