Krimi „Aus der Balance“: Nichts Spielerisches
Megan Abbotts evoziert eine klaustrophobische Welt im Ballettmilieu. Mobbing und Gewalt bestimmen das Leben zweier Frauen in einer Tanzschule.
Wir wissen, dass in der nur scheinbar so luftig-leichten Welt des Tanzes hinter den Kulissen mitunter mit harten Bandagen gekämpft wird. Ein Choreograf in Hannover beschmiert eine Kritikerin mit Hundescheiße. Ein Tänzer in Moskau gibt einen Säureanschlag auf den Ballettchef in Auftrag: Das sind reale Szenarien, die wir aus der Presse kennen. Erstaunlich eigentlich, dass nicht ständig Ballettkrimis geschrieben werden.
Die US-amerikanische Autorin Megan Abbott zeigt nun mit ihrem Roman „Aus der Balance“, dass diese Atmosphäre aus unterdrückten Leidenschaften, versteckten Feindschaften, ätzenden Neid- und Hassgefühlen schon dort ihr zerstörerisches Werk tun kann, wo Tanz eigentlich noch etwas Spielerisches, Unschuldiges haben sollte: in der Ballettschule.
Es ist im Grunde ein Kammerspiel, ein Pas des trois mit einigem Nebenpersonal, das Abbott entwirft. Die Schwestern Dara und Marie betreiben eine Tanzschule, die sie von ihrer verstorbenen Mutter geerbt haben. Dritter im Bunde sowie Geschäftsführer der Schule ist Daras Ehemann Charlie, auch er ehemaliger Schüler ihrer Mutter, mit dem sie zusammen aufgewachsen sind. Es besteht eine prekäre Balance zwischen den dreien, die empfindlich gestört wird, nachdem Marie, die mangels anderer Wohnmöglichkeiten in der Ballettschule übernachtet, aus Versehen einen Brand entfacht hat.
Mit dem Bauunternehmer Derek, der die dadurch nötig gewordenen Renovierungsarbeiten übernimmt, zieht ein Störfaktor ein, der die bisherigen Verhältnisse schwer ins Wanken bringt. In der Baustelle, die ihre Schule nun ist, beginnen die Proben zur alljährlichen „Nussknacker“-Aufführung. Eifersüchteleien rund um die Rollenverteilung beenden langjährige Freundschaften zwischen den Schülerinnen. Fälle von Mobbing häufen sich.
Gewalt und Selbstkasteiung
Marie beginnt eine Affäre mit dem Bauunternehmer und zeigt alle Merkmale sexueller Hörigkeit. Dara ist sehr beunruhigt – und das um so mehr, als sie allmählich zu der Überzeugung gelangt, dass Derek es eigentlich darauf abgesehen hat, ihr schönes altes Wohnhaus in die Finger zu bekommen, da das Grundstück in den letzten Jahren immens an Wert gewonnen hat. Doch als es zur Konfrontation kommt, passiert etwas Furchtbares.
Megan Abbott: „Aus der Balance“. Aus dem Englischen von Karen Gerwig und Angelika Müller. Pulp Master, Berlin 2023, 416 Seiten, 16 Euro
Die düster-schwüle Atmosphäre, die diesen Roman durchzieht, verursacht beim Lesen geradezu körperliches Unbehagen. Es ist deutlich spürbar, dass es so einiges gibt, das hier ganz und gar nicht stimmt. Alle menschlichen Beziehungen befinden sich in irgendwie angespannter Schieflage, ohne dass die Charaktere sich dessen bewusst würden.
Das gilt auch für Dara, aus deren Perspektive der Roman zum größten Teil erzählt wird. Dara sieht sich selbst als die Rationale, Lebenstüchtige der beiden Schwestern und ist dabei doch diejenige, die die Traumata, die sie als Kinder in der Familie erlitten haben, nur am gründlichsten verdrängt hat.
Am Grund dieser Traumata steht die Erfahrung physischer Gewalt in mannigfaltiger Form: als Gewalt in der Ehe der Eltern, aber auch als Gewalt gegen den eigenen Körper beim exzessiven Tanztraining. Die Lusterfahrung dieser Selbstkasteiung hat sowohl physische als auch psychische Spuren hinterlassen.
Und so sehr sie einem eigentlich alle leidtun könnten: Keine einzige Figur in diesem Roman wird einem jemals sympathisch, und am Ende der Lektüre ist man heilfroh, dieser von Megan Abbott meisterlich evozierten klaustrophobischen Welt voller fehlgeleiteter Lustgefühle entronnen zu sein. Die Kinder zum Ballett schicken möchte man nun jedenfalls ganz bestimmt nicht mehr.
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