: Europa – der geheime Klimasünder
Gern, ausgiebig und oft rühmt sich die Europäische Union ihrer Klimapolitik. Bislang geheime Zahlen belegen aber das Gegenteil: Statt weniger stoßen die 25 Mitgliedstaaten wieder mehr Treibhausgase aus. Die EU verliert an Glaubwürdigkeit
AUS BRÜSSEL UND BERLIN RUTH REICHSTEIN, NICK REIMER
Die 25 EU-Mitgliedstaaten sind weiter als je zuvor davon entfernt, ihre Klimaschutzziele von Kioto zu erfüllen. Im Jahr 2002 hatten die Staaten 2,9 Prozent des Klimakillers Kohlendioxid weniger in die Luft geblasen als 1990. Seitdem aber steigt der Ausstoß wieder. Wie der taz vorliegende, interne Kommissionszahlen belegen, lag die Reduktion 2003 nur noch bei 1,7 Prozent. Bedeutet: Absolut stieg die CO2-Emission um 1,2 Prozent in nur einem Jahr. Gemäß den Kioto-Verpflichtungen muss Europa 2010 gegenüber 1990 – dem Basisjahr – 8 Prozent einsparen.
„Schuld an den schlechten Zahlen ist vor allem der Verkehr“, meint Andres Wijkman, schwedischer EU-Abgeordneter und Mitglied des Umweltausschusses. Schuld sind aber auch einzelne Mitgliedstaaten. Spanien zum Beispiel, das 40 Prozent mehr Kohlendioxid verursachte als 1990. Irland zum Beispiel, das binnen Jahresfrist ein Viertel mehr emittierte. Österreich zum Beispiel, das gemäß Kioto 13 Prozent weniger Treibhausgas in die Luft blasen will. Statt weniger stieg Österreichs Ausstoß 2003 aber um knapp 17 Prozent. Schuld sind natürlich immer die anderen: Die Österreicher verteidigen sich mit der Tatsache, dass unzählige Tanktouristen täglich über die Grenzen kommen – und eigentlich für den Zuwachs verantwortlich sind.
Schlecht sind nicht nur die Werte, sondern auch ihr Management. Ihre Veröffentlichung wurde immer wieder verschoben. Begründung: technische Probleme. Auf taz-Anfrage hieß es dann gestern, die Zahlen sollten am Freitag veröffentlicht werden. Parlamentarier Wijkman vermutet, dass „dadurch die miese Bilanz perfekt hinter der Aufregung um den EU-Gipfel versteckt werden kann“. Der beginnt bekanntermaßen heute.
Die Kommission dementiert allerdings diese Absicht. „Die Bilanz wird nächsten Donnerstag vorgestellt“, so Barbara Helfferich, Sprecherin von Umwelt-Kommissar Sim Dimas. Denn noch lägen nicht alle Übersetzungen des Berichts vor. Was wiederum Umweltschützer kritisieren: Die EU wolle sich durch die miserable Bilanz nur ihren schönen Gipfel nicht verderben lassen. Fakt ist: Am Dienstag wird sich der Umweltausschuss des EU-Parlamentes mit der Bilanz beschäftigen.
Bislang lief das Procedere allerdings immer so: Die 25 EU-Mitglieder meldeten ihre Zahlen dem Klimasekretariat in Bonn, was sie auf ihre Richtigkeit überprüfte. Das so festgestellte Ergebnis wird dann – 15 Monate nach dem Bilanzjahr – an alle Staaten weitergeleitet, die Kioto unterschrieben haben. Das war Mitte April. Aber gerade da machten sich derlei miserable Bilanzen schlecht auf dem internationalen Paket: Das Vorbild EU versucht gerade sowohl die USA als auch einige Entwicklungsländer von mehr Klimaschutz zu überzeugen.
Damit ist es jetzt Essig. Umwelt-Sprecherin Helfferich erklärte jedenfalls gegenüber der taz: „Natürlich haben wir auf bessere Zahlen gehofft. Während in den USA die Emissionen aber regelmäßig um 15 Prozent steigen, haben wir im Vergleich zu 1990 immer noch eine Reduzierung.“ Das klingt mächtig nach einer Revision des eigenen Reduktionsanspruchs. Und gibt den Amerikanern Recht.
„Die prinzipielle Absicht zum Klimaschutz ist noch vorhanden, die konkrete Umsetzung fehlt“, sagt Jan Kowalzig von Friends of the Earth. Er fürchtet, dass es nun noch schwerer wird, die großen Wirtschaftsnationen in das Klimaschutzboot zu holen. Erst Mitte dieser Woche hatte der chinesische Umweltminister sich in Old Europe umgesehen. Er wollte wissen, wie das Vorbild funktioniert, bevor er sein Erfolgsmodell in China kopiert.
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