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Gleichstellungspläne von Schwarz-Rot„Kuchen mit Schwarz-Rot nicht größer“

Bahar Haghanipour, frauenpolitische Sprecherin der Grünen, kritisiert Pläne der Großen Koalition zum Thema Gleichstellung als reine Absichtserklärung.

Laut Istanbul-Konvention bräuchte Berlin deutlich mehr Frauenhausplätze Foto: Natalia Bronny
Adefunmi Olanigan
Interview von Adefunmi Olanigan

taz: Frau Haghanipour, im Koalitionsvertrag von CDU und SPD heißt es: Berlin ist die Stadt der Frauen. Was hat der Koalitionsvertrag Berlins Frauen zu bieten?

Bahar Haghanipour: Auf den ersten Blick liest sich das Kapitel zur Gleichstellung gut. Sie soll in allen Lebensbereichen vorangetrieben werden. Aber bei genauerem Hingucken entsteht bei mir der Eindruck: Entweder wussten die Ver­hand­le­r*in­nen nicht, was die Vorhaben finanziell bedeuten, oder sie wollten ein großes Wünsch-dir-was-Programm aufschreiben, um ihre unbeliebte schwarz-rote Koalition durchzubringen und sich vom Vorwurf des Rückschritts freizumachen.

Vincent Villwock / Grüne Fraktion Berlin
Im Interview: Bahar Haghanipour

Bahar Haghanipour, geboren 1984, ist Vizepräsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses und Sprecherin der Grünen-Fraktion für Frauenpolitik und Gleichstellung

Warum zweifeln Sie an der Umsetzung?

Ich zweifle, weil die höheren Einigungen für Entgeltgleichheit, die Verstetigung von Frauen- und Beratungsstellen, die Vorhaben im Gewaltschutz zusätzlich mehrere Millionen Euro kosten werden. Sollte Schwarz-Rot zustande kommen, erwarte ich, dass dieses Geld gestellt wird. Aber spätestens bei den Haushaltsverhandlungen vermute ich, dass dieses Gebäude der Versprechungen in sich zusammenstürzen wird. Ich zweifle daran, dass die Koalition auch wirklich umsetzt, was sie aufgeschrieben hat. Der Kuchen wird nicht größer, nur weil Schwarz-Rot ihn backt.

Wie begründen Sie Ihre Zweifel?

Die Koalition muss sich an dem, was sie aufschreibt, messen lassen. Aber es entsteht der Eindruck, dass Schwarz-Rot auf Teufel komm raus seine Projekte mit Schulden finanziert, also frei nach dem Motto: nach mir die Sintflut. Das ist eine Sorge, die ich habe, wenn ich diesen Vertrag lese.

Im Koalitionsvertrag genannt sind etwa Entgeltgleichheit, langfristige Finanzierung von Frauenprojekten, weitere Frauenhäuser und Vorhaben im Gewaltschutz. Das sind doch durchaus gute, unterstützenswerte Pläne in Ihrem Sinne, oder?

Ich frage mich, ob die Koalition das zu Ende gedacht hat. Um die Vorhaben umzusetzen, braucht es etwa mehr Personalstellen, also eine Stärkung der Gleichstellungsabteilung in der Verwaltung. Zudem kann ich nicht nachvollziehen, dass der vorbereitete Landesaktionsplan und auch das Gewaltmonitoring nicht im Koalitionsvertrag stehen.

Schutz vor Gewalt

Das bundesweite Hilfetelefon gegen Gewalt ist rund um die Uhr unter der Nummer 08000/116 016 erreichbar, die Berliner BIG Hotline von 8 bis 23 Uhr unter (030) 611 03 00 und die Kinderschutzhotline unter 0800 1921000. Zusätzlich können sich Frauen an Fachberatungsstellen wie LARA, Wildwasser und die MUT-Stelle, Trans*­frau­en an MILES und LesMigras wenden.

Die Istanbul-Konvention des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sieht pro 10.000 Ein­woh­ne­r*in­nen einen Familienplatz in Frauenhäusern vor. Für Berlin wären das rund 920 Plätze. Aktuell gibt es laut Senatsgesundheitsverwaltung 7 Frauenhäuser mit 422 Plätzen. Hinzu kommen 450 Schutzplätze in Zufluchtswohnungen. Im nächsten Jahr soll ein achtes Frauenhaus mit 40 Plätzen in Betrieb genommen werden und weitere 15 Schutzplätze entstehen. (mfr)

Was kann man sich unter dem Landesaktionsplan und Gewaltmonitoring vorstellen?

Mit dem Monitoring wollen wir die Versorgungslage von gewaltbetroffenen Frauen prüfen. Mit dem Landesaktionsplan zur Verhütung von Gewalt gegen Frauen soll Gewaltschutz ressortübergreifend bearbeitet werden, nicht nur aus der Gleichstellungsabteilung heraus. Was bedeutet Gewaltschutz in der Verwaltung, für die Polizei, Justiz, Bildung? Der Landesaktionsplan wird mit Maßnahmen hinterlegt. Im Herbst sollte der Aktionsplan finalisiert und veröffentlicht werden. Ihn jetzt in die Schublade zu legen wäre ein Rückschritt.

Was für Maßnahmen wären das gewesen?

Ein Aktionsplan liegt ja noch nicht final vor. Aber eine Maßnahme wäre eben das Monitoring gewesen, das sich die Versorgungslage in Berlin anschaut. Um zu wissen, wo man politisch noch nachsteuern müsste. Weitere Maßnahmen wären mehr Schutzplätze und Sprachmittlung für Frauen, damit alle Frauen in Berlin ihr Recht auf Beratung, Gewaltschutz und Selbstbestimmung wahrnehmen können. Das alles fordert auch die Istanbul-Konvention.

Wie weit waren Sie denn schon mit dem Landesaktionsplan?

Seit etwa einem Jahr arbeitet die Gleichstellungsverwaltung an diesem Plan auch mit der Zivilgesellschaft. Das ist eigentlich ein Geschenk, dass unsere grüne Hausleitung diese Vorhaben in dieser kurzen Zeit fast zum Abschluss gebracht hat. Sollte Schwarz-Rot kommen, erwarte ich, dass diese Vorhaben auch abgeschlossen werden, sonst muss sie sich dem Vorwurf der Rückschrittskoalition stellen.

Eine Maßnahme sind die Schutzunterkünfte. Der Koalitionsvertrag plant ein neuntes und zehntes Frauenhaus. Um die Istanbuler Konvention einzuhalten, fehlen in Berlin noch viele Plätze. Ist das dann nicht ein Gewinn?

Ja, aber wie Sie sagen: Im Koalitionsvertrag steht die Planung. Planungen sind geduldig und bieten keinen Schutz. In unserer progressiven Koalition [aus SPD, Grünen und Linken, Anm. der Redaktion] haben wir Frauenpolitik ernst genommen und aufgeschrieben, dass wir ein weiteres Frauenhaus auf jeden Fall einrichten werden. Dieses achte Frauenhaus wird noch in diesem Halbjahr eröffnet.

Im Koalitionsvertrag jetzt steht, dass ausreichend Schutzplätze bereitgestellt werden. Das würde ein halbes Dutzend zusätzliche Frauenhäuser bedeuten. Aber ausreichend Schutzplätze können wir nur schrittweise aufbauen. Weder die kommende noch die übernächste Koalition wird das schaffen. Gleichstellung ernst zu nehmen, bedeutet aber nicht nur, schöne Vorhaben aufzuschreiben, sondern sie auch durchzusetzen.

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1 Kommentar

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  • Ich hätte mir mehr kritische Nachfragen gewünscht, nicht so ein Wohlfühlinterview.

    Dass Frau Haghanipour zweifelt, ist ihr Job.

    Ihre Begründungen hätten deutlich mehr Rückfragen hergegeben.

    Es handelt sich immerhin um eine Partei, die selbst knapp am Regieren vorbeigeschrammt ist.

    Da kann man schon mal nachfragen, ob eine Regierung unter grüner Beteiligung von der langfristigen Finanzierung von Frauenprojekten Abstand genommen hätte, wie es Frau Haghanipours Kritik nahelegt.