Wie wir geboren werden: The process formerly known as birth
In der Zukunft ist Schluss mit idiotischem Geburtsschmerz. Wir befreien uns selbst aus dem „Bruterus“, der uns zur gewünschten Größe gezogen hat.
F rüher wollten alle wissen, was sie erwartet, heute haben die meisten schon von der Gegenwart genug. Wir blicken trotzdem einmal im Monat immer ein Jahr voraus.
Wir schreiben das Jahr 2045. Auf dem Sofa betrachte ich bei einem Fass Rotwein gerührt die Schwarzweißbilder von meiner Geburt, Dokumente aus einer dunklen Zeit. Wie krass das alles war: Mutter, das Spital, die Schreie, das Blut, die Trümmer. Schwarzweißaufnahmen können eine Gnade sein.
Papierabzüge von Fotos macht man heute längst nicht mehr, ob in Farbe oder Schwarzweiß. Auch herkömmliche Geburten gehören der Vergangenheit an – das Bundesgesundheitsministerium hat den gefährlichen Unsinn untersagt. Im Nachhinein fragt man sich, warum aus rein sentimentalen Gründen so lange an dem archaischen und anachronistischen Gemetzel festgehalten wurde.
Aber man feiert natürlich noch den Moment, wenn die Eltern (m/w/d) das Kind in Empfang nehmen, sobald es groß und stark genug ist, sich mit einer Art Nothammer (quasi der Eizahn des Menschen) von innen heraus aus dem „Bruterus“ genannten, thermoskannenähnlichen Behältnis zu befreien. Dort hat es in einer Nährstofflösung den gesamten Zeitraum zwischen seiner Ansetzung im handlichen Zeugungsreaktor („Vaginat“) und dem TPFKAB (the process formerly known as birth) verbracht.
TPFKAB-Party
Manche sagen auch schlicht „Coming-out“ dazu, denn der Ausdruck wird 2045 nicht mehr dafür benötigt, sich vor Freunden, Eltern oder einem Mob aus Menschenfeinden für seine sexuelle Orientierung zu erklären, und daher endlich für positivere Zwecke frei. „Kommse raus, könnse reingucken“, scherzt dazu mein Futurologe Zbigniew in Abwandlung eines bekannten Bonmots.
Man lädt Familie und Freunde zur TPFKAB-Party ein, vorzugsweise in eine Bar mit Tanzmöglichkeit. Das Kind schlüpft dort live und kann bereits seinen Namen sagen, denn es ist schon fünf Jahre alt, wahlweise auch 15 oder 50, je nachdem, auf welche Zeit die Eieruhr zuvor gestellt wurde. Wer möchte sich denn noch gern mit so einem Brabbelsäugling alter Schule abplagen? Der Latexschnorchel, der die unhygienische Nabelschnur aus früheren Zeiten ersetzt, wird dem „Baby“ abgenommen und für das nächste Kind gereinigt.
Die Sektkorken knallen. Ein volles Glas wird dem Neugeborenen in die Hand gedrückt. Nach der langweiligen Zeit im Bruterus hat es einen ordentlichen Jieper auf den kühlen Drink. Es stößt mit den Eltern an, sie beginnen etwas Smalltalk, naturgemäß fremdelt man noch ein wenig. Die Themen können je nach Geburtsalter sein: A-a, Lego oder die Geschicke des neuen Serienmeisters Haribo Hagen, passenderweise gesponsert von Kaiserschmitt-Bölkow-Blohm, dem führenden Vaginat- und Bruterus-Hersteller in Deutschland.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen