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Flucht verarbeitetUnverdauliche Kunst

In Hamburg zeigt die Ukrainerin Maria Kulikovska ihre Installation „Table 2“. Sie gibt tiefe Einblicke in ihre Fluchterfahrung.

Maria Kulikovska, „Table 2“: Angerichtet sind Krieg, Flucht und Vertreibung Foto: Christian Grasse

Hamburg taz | Strahlend weißes Keramik-Service, Silberbesteck, Rotwein und Rosen: das, was man einen gut gedeckten Tisch nennt. Doch die Atmosphäre des einladenden Dinner-Ensembles täuscht. Bei genauerem Hinsehen erkennt man auf den Tellern eingebrannt, amtliche Briefe und bürokratische Formulare, die mit Aquarell-Malereien verziert sind.

Die bunten Farben überdecken jedoch nicht den düsteren Inhalt der Dokumente: „Ausweis für Vertriebene“ ist dort unter anderem zu lesen. Schnell wird klar, es handelt sich dabei um die Zeugnisse einer Flucht: die der Künstlerin selbst.

Zusammen mit ihrer kleinen Tochter ist die ukrainische Architektin und Künstlerin Maria Kulikovska im Februar 2022 von Kyiv nach Linz gekommen. Bekannt ist sie unter anderem durch die Friedens-Performance „254“, für die sie 2014 in St. Petersburg zeitweilig in Haft war.

In ihrer sehr persönlichen Arbeit „Table 2“, die nun in der Freien Akademie der Künste in Hamburg zu sehen ist, hat sie ihren Weg nach Deutschland künstlerisch verarbeitet. Thematisch spiegelt sich darin der Krieg, ihre Fluchterfahrungen und Ängste sowie Gedanken zu ihrer Rolle als Mutter wider.

Das Unsagbare erzählen

Wie emotional aufgeladen die Werke für Kulikovska sind, merkt man ihr an. Es fällt ihr schwer, über all das zu sprechen: „Ich habe noch nicht einmal in meiner eigenen Sprache die richtigen Worte dafür“, sagt sie. Die Kunst sei der Versuch, das Unsagbare zu erzählen und gleichzeitig eine Form der Therapie.

Kernstück der Arbeit sind unterschiedliche amtliche Dokumente, die sie während ihrer Flucht gesammelt und mit Aquarell-Farben bemalt hat. Darunter sind Asyl- und Wohnungsanträge und Briefe von Hilfsorganisationen. Die so entstandenen Werke sind anschließend auf zwölf Ess- und Vorspeiseteller sowie zwei Serviceplatten gebrannt worden.

Geboren wurde die Künstlerin in der ukrainisch-autonomen Republik Krim. Aufgrund der russischen Annexion sah sich 2014 erstmals gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen. Auf ihrer Flucht sei sie, damals wie heute, immer wieder auf bürokratische Hürden gestoßen. Gerade an den Grenzen werde versucht, Menschen in Kategorien einzuteilen: „Als weibliche Künstlerin fällt man für die Migrationsmaschine aus dem Raster.“

Die verwendeten Dokumente stehen somit unter anderem für den Kampf mit den Behörden um Akzeptanz und eine Antwort auf das Bewusstsein „als geflüchtete Person als Mensch zweiter Klasse zu gelten“. Dieses Gefühl bleibe, sagt sie und damit auch die Ungewissheit, wo sie in den nächsten Monaten zu Hause ist und mit welcher Sprache ihre Tochter aufwächst.

Ich kann nicht wirklich froh sein und mein Leben genießen, während in der Ukraine Menschen sterben

Maria Kulikovska, Künstlerin

Die Aquarellmotive bedecken die schwarz-weißen Dokumente und verschlucken durch ihre intensiven Farben teilweise deren Inhalt. Blumen, Frauenkörper, aber auch Schriftzüge hat sie darüber gemalt. So steht auf einem Brief, der ihre Wohnsituation betrifft, in roten Buchstaben: „In which country I will be a human being not a refugee?“. Auch ihre Rolle als Mutter spielt eine entscheidende Rolle. So bittet sie ihre Tochter um Entschuldigung, in eine Familie von politischen Flüchtlingen geboren zu sein.

Nicht nur in den Werken selbst steckt Symbolik, das Ensemble ist in seiner Gänze als Kuration zu verstehen. Die auf dem Tisch drapierten Rosen seien ganz nach Joseph Beuys Werk „Rose für direkte Demokratie“, ein Zeichen für die freie Gesellschaft, so auch die Aquarell-Blumen: Ein Stück fragile Natur, die ohne Zutun stirbt, so erklärt sie es.

Zusammen mit den überwiegend roten Aquarellmalereien bildet der Rotwein einen starken Kontrast zur weißen Tischdecke und dem Service. Es ist jedoch nicht nur ein farblicher Gegensatz, viel mehr trifft eine vermeintlich entspannte und willkommen-heißende Atmosphäre auf etwas Bedrohliches. So löst die rote Farbe des Rotweins und der Malereien im Kontext der Arbeit eine blutige Assoziation aus, die den dargestellten Frauenkörpern jegliche Erotik nimmt und sie fragil und verletzlich erscheinen lässt.

Die Darstellung von Weiblichkeit sei dabei auch als ein Protest am Patriarchalen-System in Russland zu verstehen, erzählt sie. Die Vorstellung, sich zu setzen und genüsslich am Rotwein zu nippen, bekommt einen bitteren Beigeschmack.

Installation „Die Tafel 2“: wieder vom 19. bis 31. 3., Freie Akademie der Künste, Klosterwall Hamburg. Weitere Infos sowie ein Mitschnitt der Eröffnungsrede von Reinhold Engberding: www.fadk.de

Die Geschirrteile, insgesamt je zwölf große und kleine Teller sowie zwei Fleischplatten, stehen in der Ausstellung zum Verkauf. Dazu gibt es jeweils ein Zertifikat von Maria Kulikovska.

„Ich kann nicht wirklich froh sein und mein Leben genießen, während in der Ukraine Menschen sterben“, sagt Kulikovska. Auf einem der Teller steht dazu der eindrückliche Satz: „We are safe, but frustrated, we are ok, but in pain, we feel ashamed to be alive.“

Die Themen dieser Arbeit sind schwer verdaulich, darüber täuscht auch der schön gedeckte Tisch nicht hinweg. Durch die bestehenden Gegensätze entsteht ein emotionales Zusammenspiel, das nicht nur die persönliche Geschichte einer Flucht erzählt, sondern auch zeigt, dass der Krieg nicht bei einem netten Abendessen vergessen werden kann: Eine Arbeit, die durch ihre Eindringlichkeit in Erinnerung bleibt.

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