Treffen des konservativen Thinktanks R21: Früher war mehr Atomkraft
Die konservative Denkfabrik R21 fragt nach dem Erbe von Angela Merkel. Die Bilanz fällt eher düster aus. Das Ende deutscher AKWs betrauert man.
Die Denkfabrik, 2022 gegründet und schon reichlich mit Spenden bedacht, will laut Selbstbeschreibung „eine neue bürgerliche Politik in Deutschland und Europa begründen“. Im Vorstand sitzt neben Rödder auch die ehemalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder. Ende vergangenen Jahres lud man bereits zum Anti-Wokeness-Kongress ein. Nun also geht's um das konservative Erbe.
Ein Ergebnis der Merkel-Ära sei, so der Journalist Robin Alexander, die AfD, die in dem oppositionslosen Beschweigen von Merkels Flüchtlingspolitik und Merkels Fixierung auf die Anschlussfähigkeit zur linken Mitte einen brauchbaren Humus fand. Der Union stünde, so Alexander, eine Debatte darum gut an.
Das aber will R21 nur zum Teil. Man wolle, so die Ansage, auf keinen Fall „Merkel-Bashing“ betreiben, sondern in einem Dreischritt von Bilanz, Erkenntnis und Aussicht lieber in die Zukunft schauen. Vielleicht ist die Fixierung auf das Morgen auch eine Distanzgeste gegenüber streng Rechtskonservativen, die oft eine verklärte Vergangenheit idealisieren.
Das Wording bei R21 ähnelt mitunter trotzdem rechten Diskursen. Vorstandsmitglied Harald Mosler sieht sich von „einer Armada von Gegnern“ umzingelt. Der Sinn von R21 sei es, „die Diskurshoheit vom linksgrünen Milieu zurückzuerobern“, das allen vorschreiben wolle, was sagbar sei. Das klingt bei der AfD auch nicht viel anders.
Merkel habe Schröder perfektioniert
Der Historiker Dominik Geppert skizziert ein erfreulich facettenreiches Bild der Merkel-Ära, fern der Affekte, die Merkel lange bei Konservativen mobilisierte. In ihrer Amtszeit sei Deutschland wirtschaftlich gut durch die Finanzkrise gekommen. Allerdings als Krisengewinnler. Die Exportwirtschaft brummte – weil die USA und China mit Finanzbazookas die Krise nach 2008 bekämpften.
Dass sich die deutsche Exportweltmeisterschaft den Schulden anderswo verdankte, ist für einen Liberal-Konservativen wie Geppert eine bemerkenswerte Erkenntnis. Merkel habe zudem perfektioniert, was schon Gerhard Schröder tat. Schröder setzte mit dem Kosovokrieg und der Agenda 2010 konservative Projekte um, Merkel mit dem Atomausstieg und Management der Flüchtlingskrise spiegelsymmetrisch rot-grüne Projekte.
Beides sei ein Ergebnis des Versuchs, die innere Blockade des bundesdeutschen Systems zu überwinden. Allerdings, so Geppert, sei der jähe Sturz der allseits beliebten Kanzlerin zur eher unbeliebten Ex-Kanzlerin auch kein Zufall. Merkels Defizite fielen nach dem 24. Februar 2022 vielen ins Auge: nur Pragmatismus, keine Planung für den Ernstfall.
Deutschland soll „groß denken“
Zackiger formuliert Rödder die neue Post-Merkel-Außenpolitik. Der deutsche Traum, Zivilmacht sein zu können, sei mit dem Überfall auf Kiew geplatzt. Laut Rödder befinden wir uns in einer Lage „wie 1938“. Merkel wäre gut darin gewesen, Desaster wie den Ausbruch des Weltkriegs 1914 zu verhindern, aber unfähig, Putin, den wir uns als Wiedergänger Hitlers vorstellen sollen, zu stoppen.
Wenn man gegen Hitler kämpft, dann ist keine Maßnahme groß genug. So fordert Rödder ein selbstbewusstes, normales Deutschland, das mit den USA „think big lernen muss“. Im globalen Kampf gegen China und Russland gehe es um „die Selbstbehauptung des Westens“. Deutschland soll fortan gemäß Georg Bushs Formel von „partnership in leadership“ an der Seite der USA agieren und sei überhaupt „der entscheidende Player in Europa“. Das klingt ziemlich breitbeinig.
Auf dem Podium ist man sich indes einig. Kein Streit, nirgends. Auch Rolf Nikel, Ex-Botschafter in Warschau, ist einverstanden. Die Politikwissenschaftlerin Gerlinde Groitl plädiert gegen die Bedrohung aus dem Osten für eine „neue Eindämmungspolitik“ – eine Vokabel, die an die US-Strategie gegen die UdSSR anknüpft.
Transatlantisch plus deutsche Stärke – das ist das komplette Gegenteil des russlandfreundlichen AfD-Diskurses. Das Wort Führung fällt alle zwei Minuten. Und obwohl mitunter vermerkt wird, dies sei kein neuer Kalter Krieg, klingt die Debatte genau so: Eindämmung und Aufrüstung. Sounds like 80er Jahre.
Wo sind all die AKWs nur hin?
Erstaunlich ist die Nähe der Konservativen zu lustvoll ausgebreiteten Untergangsszenarien. Der Ökonom Daniel Stelter malt ein rabenschwarzes Bild. Deutschland ist ein kaputter failed state, bankrott und überaltert, in dem das Geld für Überflüssiges wie die Energiewende ausgegeben wird. Deutschland sei auch nicht reich, sondern ein Land verarmte Mieter und mit unfinanzierbarer Rente. Die Deindustrialisierung sei auch nicht mehr zu stoppen. „Wir reißen Europa mit in den Abgrund“, so Stelter. Und, besonderer Skandal, der Kanzler weigere sich, all das zur Kenntnis zu nehmen. Das Publikum applaudiert. Die Neigung zu apokalyptischen Szenen war mal ein Kennzeichen der Linken – sie scheint die Seite gewechselt zu haben.
Und das Klima? Folgt man Anna Veronika Wendland, so wäre vieles besser, wenn nur die AKWs weiterlaufen könnten. Der deutschen Kerntechnik, auf dem Podium einhellig als „die beste der Welt“ gelobt, sei aus ideologischen Gründen der Garaus gemacht worden. Sie sei, so Wendland, als „autoritär, männlich und gefährlich“ charakterisiert worden, obwohl sie doch eine prima Energie sei, viel klimafreundlicher als die Photovoltaik. Joachim Weimann befindet, man hätte die 400 Milliarden für Erneuerbare besser in neue Generationen von AKWs investiert.
Irgendwie riecht das stark nach Retro und 80er Jahre, als überzeugte Unionsanhänger die Idee, Atomkraft durch Sonne und Wind zu ersetzen, schenkelklopfend zu lachhafter grüner Spinnerei erklärten.
Ganz ernst scheint es R21 mit der Zukunft nicht zu meinen. Man begleicht lieber sehr, sehr alte Rechnungen.
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