piwik no script img

kritisch gesehen: adaption von „das achte leben“ in bremen255 Minuten für ein Jahrhundert

Ein Teppich kann ein Zimmer erst richtig gemütlich machen. Die Teppiche allerdings, die Bühnenbildner Thomas Rupert in „Das achte Leben (für Brilka)“ auf der Bühne des Bremer Theaters am Goetheplatz platziert hat, sind nicht nur sichtlich staubig – sie haben auch wenig Gelegenheit, Gemütlichkeit zu stiften. Ständig wird auf ihnen herumgetrampelt, werden sie umhergetragen, aus- und wieder aufgerollt. Es sind ja auch die Verhältnisse nicht gemütlich: Das 20. Jahrhundert will an diesem Abend erzählt werden. Was Nino Haratischwili in ihrem 2014 erschienenen Roman auf gut 1.200 Seiten ausgebreitet hat, hat hier vier Stunden und 15 Minuten lang Zeit, um sich zu entfalten.

Und dafür geben Teppiche ja echt ein schönes Bild ab: „Du bist ein Faden, ich bin ein Faden“, erklärt Stasia Jaschi (Susanne Schrader) gleich zu Beginn. „Zusammen ergeben wir eine kleine Verzierung, mit vielen anderen Fäden zusammen ergeben wir ein Muster. Die Muster sind einzeln schwer zugänglich, aber wenn man sie im Zusammenhang sieht, ergeben sie fantastische Dinge.“

Unausgesprochen bleibt an dieser Stelle, wer den Teppich webt. Aber das bekommt man schon noch mit in den folgenden Stunden, in denen es immerhin eine Pause mit georgischen Schnittchen im Angebot gibt. Es sind die hier ungenannten, aber bekannten Herrschaften: Stalin, dessen Geheimdienstchef Lawrentij Berija, Hitler freilich auch, Leonid Breschnew und wie sie alle heißen. Jene Männer also, die das 20. Jahrhundert prägten, das „alle betrogen und hintergangen hat, die hofften“.

Das Politische ist auch privat

Ihnen gegenüber stellt Haratischwili und mit ihr Regisseurin Alize Zandwijk vor allem Frauen: Stasia, die Tochter eines Schokoladenfabrikanten, ihre Schwester, Töchter und Enkelinnen, deren Träume die politischen Verhältnisse von der russischen Revolution über Stalins Säuberungen und den Zweiten Weltkrieg bis hin zu den Unabhängigkeitsbestrebungen Georgiens immer wieder zerstäuben. Das Politische ist eben immer auch privat.

Es ist ein stark emotionaler Zugriff auf die historischen Umwälzungen, der bisweilen beklemmende Bilder erzeugt. Stasias Tochter Kitty (Nadine Geyersbach) verliert während eines Verhörs ihr ungeborenes Kind und die Gebärmutter. Stasias Schwester Christine (Fania Sorel) wird von ihrem Ehemann aus Eifersucht mit Säure entstellt. Auf dem schmalen Grat zwischen brutaler Schönheit und süßem Kitsch wandelt der Abend indes nicht immer trittsicher. Dabei vermag das Ensemble wirklich zu beeindrucken: Ferdinand Lehmann als skrupelloser Apparatschik mit bemerkenswert jungenhaften Seiten, Neuzugang Jorid Lukaczik in gleich vier Rollen, Nadine ­Geyersbach als Kitty und nicht zuletzt Guido Gallmann in seinen präzisen Porträts verschiedener, vorwiegend abwesender Männer sind unbedingt sehenswert.

„Das achte Leben“, Theater Bremen, Großes Haus, wieder am 16. 3, 8. und 15. 4., jeweils 18 Uhr, sowie 23. 4., 15.30 Uhr

Am stärksten sind die stillen Szenen: Als beispielsweise Stasia in Prag kurz vor der Niederschlagung des dortigen Frühlings ihre Tochter Kitty nach Jahrzehnten wiedertrifft, reichen die elegischen Klänge von Matti Weber, der den Abend musikalisch grundiert, und die von Ganna Bauer und Andreas Karch videoanimierten Panzer, die schwarz-weiß auf der Leinwand im Hintergrund vorbeiziehen, als Resonanzraum, um die Intensität der Begegnung spürbar zu machen. Es bräuchte also die großen Gesten nicht, die in dieser Inszenierung mitunter zu sehr aufs Gemüt zielen und zudem die Verständlichkeit leiden lassen.

Das letzte Wort hat Shirin Eissa als Stasias Enkelin Niza, die für die durch Brilka personifizierte jüngste Generation die Geschichte erzählt. Um die Geister der Vergangenheit zu bannen, die sie zu zermalmen drohen. Ganz ohne Mystizismus scheint das nicht zu gehen. Die Acht als Symbol der Unendlichkeit bietet schließlich auch die Möglichkeit der Fortsetzung des ganzen Elends. Andreas Schnell

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen