Legende der US-Experimentalmusik: Zuvielfaltspinsel mit Elektroharke
Mit Banjo, verstärktem Gartengerät und unerschöpflichem Vorrat an Coverversionen: Eugene Chadbourne malt ein Panoramabild der schrägen Improvisation.
Mit dem Konzept „Grenze“ kann Eugene Chadbourne nichts anfangen. Die Zahl seiner Veröffentlichungen rast ungebremst auf die 200 zu. Auf der Liste seiner musikalischen Kooperationen sind die Violent Femmes, Camper van Beethoven oder Anthony Braxton nur die Spitze – der musikalische Austausch mit Letzterem erschien gerade als Acht-CD-Box. Und „Dreamory“, der Wälzer mit Chadbournes Tour- und Traumtagebüchern, knackt locker die 1.000-Seiten-Schwelle. Viel ist das alles, ja. Aber aus Sicht des 69-Jährigen längst nicht zu viel.
Jetzt bringt der Mann mit dem freundlichen Mondgesicht und der runden Flaschenglas-Brille seine Idee stilistischer Entgrenzung zurück auf norddeutsche Bühnen. Begleitet wird er dabei von einem Geistesbruder, dem deutschen Schlagzeuger Schroeder. Noch so ein Zappa Ultra.
Schon früh hat Eugene Chadbourne musikalische Beklemmungen. Nachdem ihn die Beatles als Teenager zur Gitarre führen, erscheinen ihm Popsongs bald als Korsett. Hendrix, Zappa und vor allem Jazz helfen, es zu sprengen. Als Chadbourne als 20-Jähriger Mitte der Siebziger nach New York zieht, springt er kopfüber ins brodelnd heiße Wasser der dortigen Improvisations-Szene.
Sein eigenes Schlafzimmer-Label Parachute veröffentlicht neben seinen fingerfertigen Solo-Gitarren-Abenteuern auch Heißsporne wie John Zorn oder Henry Kaiser. Als ihm schließlich auch das akademische Avantgarde-Milieu nach ein paar Jahren zu eng wird, erweitert er es um seine Liebe zu Country und Western, linken Ideen und Pot.
Seither beackert Chadbourne dieses sehr weite Feld auf unterschiedlichste Art. Mal mit dem Banjo, dann wieder mit der Electric Rake, einem mit Kontaktmikrofonen versehenen Handrechen, der einen Höllenkrach macht. Überwiegend aber mit der Gitarre. Die spielt er so gekonnt, reaktionsschnell und mit enzyklopädischem Musikwissen, dass er sich bei Konzerten nicht selten als lebende Jukebox präsentiert.
Das Publikum ruft einen Song und Chadbourne verwandelt volley: meistens in eine schrullige Frickelversion, viel zu schnell gespielt oder mit Mickey-Mouse-Stimme und verändertem Text gesungen. Ein groteskes Zerrbild des Originals, das fließend übergeht in die nächste Coverversion. Diese Medleys können stattliche Längen und beachtliche Abseitigkeit erreichen. Manches beginnt mit den Beatles und endet in Adaptionen von Albert Aylers Feuermusik. Dazwischen liegen meist deformierte Countrysongs.
Eugene Chadbourne: heute + Sa, 4. 3., 20 Uhr, Bremen, Schule 21, Godehardstr. 21
So, 5. 3, Hannover, Oberdeck, Königsworther Straße 20
Mo, 6. 3., 20 Uhr, Hamburg, Westwerk, Admiralitätsstraße 74
Dieser grobe Plan verändert sich, wenn Chadbourne nicht mehr allein auf der Bühne steht. Schon mit Shockabilly, seiner ersten eigenen Band in den 80ern, wird die Umlaufbahn seiner Songs etwas weniger außerirdisch. Auch das Schlagzeug von Schroeder, obwohl durchaus improvisationserfahren, strukturiert die Auftritte, hält den Gitarristen in der Spur. Beide kennen sich seit Jahren, haben zahllose gemeinsame Konzerte gespielt.
Eine der erfolgreichsten Chadbourne-Veröffentlichungen trägt den Titel „LSD C&W“. Darin klingt an, was ihn so anders macht: Im Gegensatz zu spröden Rollkragen-Improvisateuren wie Derek Dailey hat Chadbourne Humor. Den Lärm der Electric Rake könnte er genauso gut mit der Gitarre erzeugen. Aber wenn er mit der Harke über Wände, Stühle und den Tresen eines Clubs kratzt, macht das dem Publikum mehr Freude. Ihm sowieso.
Manche Konzerte sind zu einem Drittel Stand-up-Comedy. Dann werden fiktive Telefonate mit dem Boss einer Plattenfirma improvisiert, erzkonservative Country-Songs zu APO-Hymnen umgetextet und über Republikaner gelästert. In Amerika können sie damit nicht überall umgehen. Auch deshalb ist er seit Jahrzehnten regelmäßig und ausgiebig in Europa unterwegs. Überwiegend in den gleichen kleinen Clubs. Nicht alle können damit umgehen, wenn Merle-Haggard-Songs in ein Dead-Kennedys-Stück übergehen
All den Grimassen, schiefen Witzen und schrägen Kombinationen zum Trotz sind Chadbourne-Auftritte keine Ulk-Shows. Es sind im Grunde Oden an seine musikalischen Helden. Davon hat er viele. Sie reichen von Folkies wie Tim Buckley oder Nick Drake über den Love-Sänger Arthur Lee bis zu Country-Größen wie Willie Nelson.
Die allermeisten dieser Ehrerbietungen werden stark verändert, aber sie werden virtuos gespielt. Zumindest unter den leicht verbogenen Maßstäben, die hier gelten. Chadbourne möchte diese Lieder wiedererwecken, ihnen neues Leben einhauchen. Wohin das die Musik führt, ist zu Beginn nicht immer absehbar. Doch das ist schließlich bei jedem Leben so.
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