: Viel Arbeit für die Feinschleifer
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft startet mit einem 4:3-Sieg gegen Australien in den Konföderationen-Pokal. Erstaunlich dabei ist, dass plötzlich auch das Mittelfeld um Michael Ballack hinter den Erwartungen zurückbleibt
AUS FRANKFURT MARKUS VÖLKER
Die Deutschen werden den Confed-Cup nicht ohne Dekor verlassen, egal wie weit sie auch kommen mögen. Das ist doch schon mal eine gute Nachricht. Eine Pokalschmiede aus dem Bayerischen Wald hat der Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) eine Kristalltrophäe geschenkt, sechseinhalb Kilogramm schwer und einen halben Meter hoch. Darüber hinaus hat Michael Ballack, der Kapitän der Deutschen, ein Präsent erhalten, mit dem sich sonst nur Sieger schmücken: Nach dem Spiel gegen Australien wurde ihm, dem vermeintlichen „Man of the Match“, eine Goldmedaille um den Hals gehängt. Ein Offizieller des Weltverbandes Fifa nötigte dem Spielführer die Plakette am roten Bande förmlich auf. Dieses peinliche Ritual hat eine amerikanische Brauereikette zu verantworten, die Deutschland, Hort des Reinheitsgebots, beibringt, was ein richtiges Bier ist, nämlich dünn und geschmacksneutral – und somit: in etwa wie das Spiel der deutschen Nationalmannschaft.
Keine fünf Sekunden waren vergangen, da entledigte Ballack sich der Medaille, so geschwind, als habe man ihm eine grüne Mamba über die Schultern gelegt. Streng genommen war er ja ein Sieger am Mittwochabend vor 46.000 Zuschauern im Frankfurter Waldstadion. Er und seine Kollegen hatten die Australier mit 4:3 bezwungen, in mühsamer Manier. Den Stellenwert der Ehrung wusste Ballack sehr wohl einzuschätzen: „Vielleicht war niemand besser heute.“ Zumindest war niemand aus seiner Mannschaft besser. Unter den Socceroos, den Professionals vom fernen Kontinent, hätte sich gewiss ein würdiger Preisträger gefunden, zum Beispiel der Angreifer John Aloisi, der bei Atlético Osasuna, dem spanischen Pokalfinalisten, sein Geld verdient. Oder aber einer der pfiffigen Mittelfeldakteure in Gelb-Grün hätte dekoriert werden können, Josip Skoko oder Brett Emerton zum Beispiel.
Die Elf aus down under, betreut von Frank Farina, 41, einem ehemaligen Torschützenkönig der belgischen Liga, traf das DFB-Team da, wo es keiner vermutet hätte: im Mittelfeld, in jener Zone, in der die Kreativfüßler Ballack, Torsten Frings und Bastian Schweinsteiger walten, mithin der Bayern-Block, der als Stütze des deutschen Teams gilt. Doch Schweinsteiger wusste Erstaunliches aus dem Nervenzentrum der deutschen Kickerei zu berichten: „Immer, wenn die am Ball waren, wurde es gefährlich“, sagte der Jungnationalspieler. Kapitän Ballack sah das ganz ähnlich. „Die haben wir nicht in den Griff gekriegt.“ Die Australier, die ihre Auswahlkicker aus 17 europäischen Klubs beziehen, kombinierten zügig, stellten die Bälle per Doppel- oder Steilpass auf den agilen Aliosi im Angriff zu und damit nicht nur das deutsche Mittelfeld vor eine anspruchsvolle Aufgabe, nein, auch die Defensive kam ins Schwitzen. Von der Abwehrabteilung hatte man allerdings nichts anderes erwartet. Die Viererkette trägt Lötstellen, die auf grobe, unsachgemäße Verarbeitung schließen lassen. Die Feinschleifer haben viel Arbeit vor sich.
Wenn es in der Mitte nicht richtig klappt und hinten auch nicht, dann hat die Mannschaft ein Problem. Diese Fehler müsse man halt abstellen, beschied Ballack lapidar. „Wenn man auf Dauer so viele Gegentore kassiert, dann kriegen wir irgendwann Probleme“, wusste er zu berichten. Vor allem lässt sich nicht jene Dominanz ausüben, die man im Kontext eines solchen Spiels erwarten kann, als da wäre ein Stadion voller begeisterungsfähiger Fans, die so viele Wellen der Begeisterung durch die neue Arena schickten, dass dem Beobachter schon vor dem Anpfiff schwindlig werden konnte; als da ein lauer Sommerwind durch den Frankfurter Stadtwald zog, der angenehmer nicht hätte sein können; als der Gegner keine Großmacht des Fußballs ist und zur Profilierung einlädt. Es ließen sich noch mehr Gründe anführen, die dieses Turnierspielchen des Konföderationen-Pokals zu einer runden Sache für den DFB hätten machen können, allein die Mannschaft ist noch nicht so weit. Das Gesamtkunstwerk, das Jürgen Klinsmann in einem Jahr bei der WM vorführen will, trägt derzeit den Vermerk: work in progress.
Bundestrainers Vision kann sich mit der Realität nicht messen. Das Missverhältnis hindert ihn freilich nicht daran, die Wirklichkeit visionär zu verkaufen. Vielleicht sieht er ja auch immer ein anderes Spiel, weil er seine WM-2006-Schablone über das Geschehen legt und immer dann, wenn Deckungsgleichheit entsteht, schier ins Verzücken gerät. Die Mannschaft inkubiert vor sich hin, in der Hoffnung, dass irgendwann der ganz große Fußball ausbricht wie ein Fieber. „Wir gestehen dieser Mannschaft Fehler zu“, erklärte Klinsmann. „Das gehört einfach mit dazu zu diesem Prozess. Dass wir Arbeit vor uns haben, wissen wir sehr wohl.“
Klinsmann gab an, „sehr glücklich“ über die drei Punkte zu sein. Nun könne die Mannschaft „auf den Turniersieg losgehen“. Dieser sollte ihm helfen, in Ruhe weiter schaffen zu können, von sportlicher Bedeutung ist der Gewinn der Goldenen Ananas nicht. Wichtiger ist es da schon, dass die Auswahl erkennt, was in ihr steckt, wozu sie fähig ist. Im Moment übt Klinsmann eine Nachsicht, die die Regeln des Profigeschäfts konterkariert. Aber wo keine Konkurrenz um Posten herrscht, gerade in der deutschen Abwehr, ist die Milde eines Herbergsvaters, das Wohlwollen eines Mentors gefragt. Selbst wenn die deutsche Defensive erneut nicht überzeugen konnte – vor allem Robert Huth ist da zu nennen – muss Klinsmann mit ihr vorlieb nehmen. Er hat keine andere. Sie wird in dieser Besetzung wohl auch gegen Tunesien am Samstag spielen. „Wir wollen das durchziehen, um Erfahrungswerte zu vermitteln“, sagt Jürgen Klinsmann.
Das aktuelle Leitmotiv der DFB-Auswahl entstammt dem Werk Wladimir Iljitsch Lenins. Es lautet: Lernen, lernen und nochmals lernen.
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