Projekt bringt Alt und Jung zusammen: „So muss ich nicht allein gehen“
Rentnerin Beate Friedrichs und Schülerin Elisa gehen gemeinsam zum Handball oder ins Kieler Theater. Das Projekt „KulturistenHoch2“ macht es möglich.
wochentaz: Elisa, welche Musik hörst du am liebsten?
Elisa: Alles durchmischt: Rock, Pop, Klassik, je nach Stimmung.
Und Sie, Frau Friedrichs?
Beate Friedrichs: Ich stehe auf Unheilig. Schade, dass Der Graf aufgehört hat, oder? Wussten Sie, dass er eigentlich stottert? Wenn er singt, dann stottert er nicht.
Die Personen
Beate Friedrichs, Jahrgang 1954, stammt aus Kiel, war Verkäuferin und bis zur Rente als Pflegehelferin tätig. Heute pflegt sie trotz eigener Schwerbehinderung ihre Tante.
Elisa, 2006 geboren, kommt ebenfalls aus Kiel und besucht ein Gymnasium. Auf ihren Wunsch hin soll ihr Nachname nicht genannt werden.
Nein, das wusste ich nicht. Aber Sie ahnen vielleicht, warum ich Sie beide nach Ihrem Musikgeschmack frage. Sie stammen aus verschiedenen Generationen – Elisa, du wirst Mitte April 17, und Frau Friedrichs, Sie werden Mitte März 69 Jahre alt. Aber Sie besuchen gemeinsam Kulturveranstaltungen. Wie einigen Sie sich darauf, zu welchem Konzert oder in welches Theaterstück Sie gehen?
Friedrichs: Wir haben uns zum ersten Mal in der Sportarena getroffen. Wir haben Handball geschaut, ein Spiel des THW Kiel. Ich war schon ganz früh da und habe Elisa geschrieben, wo ich stehe. Sie kam dann auch kurz darauf, und dann lief es gleich gut mit uns.
Okay, also Handball statt Konzert. Vielleicht erzählen Sie mal, was genau für ein Angebot das ist, an dem Sie beide teilnehmen?
Elisa: Es nennt sich KulturistenHoch2. Die Idee dabei ist, dass Jung und Alt zusammengebracht werden und gemeinsam kulturelle Veranstaltungen besuchen.
Friedrichs: Man kann ins Theater gehen, in eine Ausstellung, aber eben auch zum Sport.
Wie sind Sie dazu gekommen?
„KulturistenHoch2“ startete in Hamburg, Kiel ist der zweite Standort. Das Programm bringt alte und junge Menschen zusammen, die gemeinsam Kulturveranstaltungen besuchen. Seit Dezember 2021 haben sich in Kiel 80 Paare getroffen. Aktuell nehmen 28 Schüler*innen und 36 Senior*innen teil. Finanziert wird das Projekt durch die Deutsche Fernsehlotterie, Trägerin in Kiel ist die Karl-Heinz-Howe-Simon-Fiedler-Stiftung. (taz)
Elisa: Bei uns wurde das Programm in der Schule vorgestellt. Als ich gehört habe, welcher Sinn dahintersteht, hat mich das sofort angesprochen. Es ist eine Möglichkeit, mit anderen Menschen eine Veranstaltung zu besuchen, und man lernt obendrein neue Leute kennen. Ich finde das spannend, und ich denke, man kann von älteren Menschen eine Menge lernen.
Was zum Beispiel?
Elisa: Ich finde es interessant, wenn mir jemand erzählt, was er im Leben getan und erreicht hat. Ich mache im nächsten Jahr meinen Schulabschluss und weiß nicht, was dann kommt. So eine Begegnung kann eine Inspiration sein.
Du stammst aus Kiel und gehst hier zur Schule?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Elisa: Ja, auf ein Gymnasium. Was ich später machen will, finde ich wirklich schwierig, weil es so viele Möglichkeiten gibt und weil ich so viele verschiedene Interessen habe. Darum wechselt es zurzeit von Monat zu Monat.
Wie ist der aktuelle Stand?
Elisa: Journalismus oder Polizei, also komplett unterschiedliche Dinge. Jura fände ich auch interessant.
Frau Friedrichs, wie war das mit der Berufswahl, als Sie in Elisas Alter waren?
Friedrichs: So viele Möglichkeiten hatten wir früher nicht. Ich bin neun Jahre zur Volksschule gegangen, dann in die Lehre. Heute geht alles viel schneller, es ändert sich ständig.
Was für eine Lehre haben Sie gemacht?
Friedrichs: Als Verkäuferin, im Einzelhandel. Hier in Kiel, beim „A&O“. Den gibt’s heute gar nicht mehr, das war so ein Tante-Emma-Laden.
Also, Sie beide haben sich in der Sportarena beim THW kennengelernt. Mögen Sie beide denn Sport?
Friedrichs: Ich bin sogar im Sportverein, gehe zum Schwimmen und zur Wassergymnastik. Mehr geht nicht, ich bin ja schwerbehindert. Aber ich gucke gern Sport, gerade die Spiele des THW Kiel und von Holstein Kiel.
Elisa: Ich gehe ins Fitnessstudio. Für anderen Sport habe ich nicht so viel Zeit, ich mache dafür aber viel Musik und habe daneben auch noch einen Minijob, als Servicekraft in einer Konditorei, da stehe ich hinter dem Tresen. Außerdem singe ich im Chor der Kieler Oper, das ist ganz schön zeitaufwendig durch die Proben. Und ich spiele Querflöte im Orchester und mache gerade meinen Führerschein. Na ja, und hauptberuflich gehe ich natürlich zur Schule. Also, es ist alles eng getaktet bei mir.
Frau Friedrichs, wussten Sie, dass Elisa im Verkauf arbeitet, genau wie Sie früher?
Friedrichs: Nein, das wusste ich nicht. Übrigens habe ich gar nicht so lange als Verkäuferin gearbeitet. Ich habe geheiratet, dann kamen die Kinder. Ich habe dann in einem Pflegeheim angefangen, bei der Arbeiterwohlfahrt, und dort 15 Jahre gearbeitet, bis ich in Rente gegangen bin. Es war immer knapp mit dem Geld, aber ich bin mit 15 in die Lehre, seither kann ich hauswirtschaften, das lernt man.
Elisa: Ich finde es wichtig, dass man lernt, mit Geld umzugehen. Man schätzt es mehr wert, wenn man dafür gearbeitet und sich angestrengt hat, als wenn man es geschenkt bekommen hat.
Haben Sie solche Fragen auch schon bei Ihrem ersten Treffen besprochen? Überhaupt, wie läuft das ab, kommt man gleich ins Gespräch?
Elisa: Nein, so tief ging es nicht. Es war eher das, was man beim Kennenlernen so fragt.
Friedrichs: Ja, die Standards, wie ist die Schule, welche Fächer machen dir Spaß, so die gängigen Themen. Elisa hat mich gefragt, ob ich Kinder habe, so was halt. Na ja, man hat ja auch was zu tun, man guckt zu und redet in den Pausen ein bisschen.
Elisa: Aber es hat bei uns gut gepasst, wir haben uns gleich unterhalten.
Friedrichs: Sie hat auch Brezeln geholt, das wäre mir schwergefallen. Da sind sehr hohe Stufen in der Arena, und ich gehe am Rollator.
Elisa: Stimmt, ich bin in der Pause losgegangen und hab Aufträge umgesetzt.
Friedrichs: Und dann hatten wir noch den Fototermin.
Elisa: Ja, wir hatten einen Fototermin mit den Spielern. Der THW hat das Bild gepostet. Meine Mutter hat es mir geschickt, ich habe mich richtig darüber gefreut. Ich war zum ersten Mal beim Handball, es war eine ganz andere Atmosphäre als beim Fußball. Das Stadion ist nicht riesig, man fühlt sich mit den anderen Leuten verbunden, wie eine riesengroße Freundesgruppe. Es ist so ein inniger Kontakt, das hätte ich nicht erwartet.
Friedrichs: Ja, das ist ein großer Unterschied zum Fußball. Damit kenne ich mich aus: Mein Ex, mein Sohn und mein Vater haben Fußball gespielt. Handball war neu, ich hab’s genossen. Für mich war das der bisher beste Abend mit den Kulturisten.
Und beim nächsten Treffen werden die Themen dann weiter vertieft?
Elisa: Nein, das nächste Treffen findet mit jemand anderem statt. Es sind immer neue Leute, so hört man immer verschiedene Geschichten.
War schon jemand dabei, mit dem Sie nichts anfangen konnten?
Elisa: Ich bin seit Mitte 2022 bei dem Projekt und habe zweimal mitgemacht. Beim ersten Mal war ich mit einem älteren Herrn unterwegs, das hat auch superviel Spaß gemacht.
Friedrichs: Ich bin immer gespannt, wer kommt: groß, klein, jemand, der viel oder wenig redet. Es ist wie ein Blind Date. Im vergangenen Sommer war ich in der Kunsthalle, da habe ich mit einer jungen Frau Bilder angeschaut. Aber die gefielen uns beiden nicht so, die fanden wir zu düster. Also sind wir lieber Eis essen gegangen.
Bei Elisa lief es über die Schule, aber wie haben Sie vom Projekt erfahren?
Friedrichs: Durch die Kieler Howe-Fiedler-Stiftung, die einiges für Kieler Senioren anbietet und auch Träger der Kulturisten ist. Dort wurde ich gefragt, ob das etwas für mich ist, und ich fand die Idee super. Allein 2022 habe ich bei 14 Veranstaltungen mitgemacht. Ehrlich gesagt, ich würde von allein nicht auf die Idee kommen, in die Oper oder so zu gehen. Ich würde das auch nicht zahlen können. So habe ich den Spaß, muss nicht allein gehen – und es kostet auch nichts, weil die Karten gespendet werden.
Ein Ziel ist, Einsamkeit zu bekämpfen. Kennen Sie andere Leute, mit denen Sie in Konzerte oder Theater gehen könnten?
Friedrichs: Nein. Ich habe zwar einen Partner, aber Schauspielhaus oder so kommt für ihn nicht in Frage. Mit meinem Sohn habe ich Kontakt, meine Tochter wünscht keinen Kontakt … Es war eine schwierige Zeit früher: Ich habe sie allein großgezogen. Mein Ex-Mann hat getrunken, seinetwegen bin ich sogar mal ins Frauenhaus gezogen. Seit 36 Jahren bin ich geschieden. Meinem neuen Partner sehe ich am Wochenende, aber ich will nicht mit ihm zusammenziehen. Das kann ich nicht, dafür habe ich zu doll um meine Freiheit gekämpft.
Das heißt, Sie genießen es manchmal auch, allein zu sein?
Friedrichs: Ja, und außerdem betreue ich meine Tante, die ist 97 Jahre alt. Da bin ich ganz schön gefordert. Das ist manchmal auch anstrengend, schließlich habe ich selbst die Schaufensterkrankheit …
Das klingt so lustig, aber Sie meinen die arterielle Verschlusskrankheit, eine Durchblutungsstörung, die dazu zwingt, langsam zu gehen?
Friedrichs: Genau. Darum habe ich den Rollator. Ich habe mich kaputtgearbeitet. Aber ich will nicht jammern.
Elisa, kennst du Phasen der Einsamkeit?
Elisa: Nein, eigentlich nicht. Durch die Schule habe ich den ganzen Tag Kontakt zu anderen. Aber nach dem Coronalockdown war es anfangs komisch, da hat man erst gar nicht miteinander geredet, weil man sich so lange nicht gesehen hat. Über das Handy hat mal halt immer Kontakt zu anderen. Aber eben auch nur über das Handy.
Friedrichs: Das wäre früher nicht möglich gewesen, da gab’s kein Handy. Bei uns Älteren ist Einsamkeit schon ein Thema. Ich gehe immer donnerstags zu einer Kartenrunde und habe da auch Werbung für die Kulturisten gemacht, aber da traut sich keiner mitzumachen.
Ja, man muss sich auf so ein Treffen einlassen, so ein Blind Date mit einer viel jüngeren Person. Elisa hat gesagt, dass sie auf Inspirationen und Tipps hofft. Was erwarten Sie bei den Treffen, Frau Friedrichs, warum ist der Kontakt zu Jüngeren Ihnen wichtig?
Friedrichs: Mir macht es Freude zu sehen, dass die auch Spaß haben. Gerade beim Handball war das Gute, dass wir beide zum ersten Mal da waren und es gemeinsam entdeckt haben. Und es sind ja keine kleinen Kinder, sondern Schüler, mit denen man sich unterhalten kann.
Elisa: Das stimmt, man erfreut sich selbst daran, kann aber gleichzeitig anderen Menschen eine Freude machen. Bei meinen beiden Treffen wurde sich am Ende des Abends bedankt, das ist ein schönes Gefühl.
Frau Friedrichs, haben Sie das Gefühl, den jungen Leuten danken zu müssen, dass sie sich mit Ihnen treffen?
Friedrich: Nee, so ist das auch nicht. Man sagt, es war ein schöner Abend, hat mich gefreut.
Elisa: Genau, man dankt sich gegenseitig für das Treffen. Denn ich bin auch dankbar, dass es Menschen gibt, mit denen ich zu solchen Veranstaltungen gehen kann. In meinem Freundeskreis gibt’s keinen, der ständig die Oper oder THW Kiel besucht.
Können Sie sich Veranstaltungen aussuchen?
Friedrich: Ja, man wird angerufen von den Kulturisten, die sagen, welche Karten da sind, dann kann man sich etwas aussuchen.
Elisa: Für uns gibt es eine Gruppe über Signal, da werden die Termine reingestellt, und wer sich zuerst meldet, kriegt den Zuschlag und die persönlichen Daten des Tandempartners. Für mich steht das Interesse an den anderen Menschen an erster Stelle, auf die Veranstaltung lasse ich mich ein, so wie auf den Handball. Aber es bietet ja niemand etwas Schlechtes an. Ich finde es toll, dass alle mitmachen und Freikarten stellen.
Für die Schüler*innen gibt es am Ende des Programms ein Zertifikat für ehrenamtliches Engagement. Ist das wichtig?
Elisa: Na ja, vielleicht kommt so was gut an bei einer Bewerbung an der Uni oder so. Aber darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht, ich mache nicht mit wegen eines Zertifikats, und so geht es vielen an meiner Schule, die mitmachen. Alle in meinem Umkreis sind begeistert von dem Projekt, auch meine Eltern unterstützen es.
Das Kulturisten-Angebot wird durch Mittel der Deutschen Fernsehlotterie finanziert, die Förderung endet Mitte 2024. Was würde fehlen, wenn die wegfiele?
Friedrichs: Das wäre schade. Es läuft gerade so gut an, und Leute wie ich, die nicht viel Geld haben, könnten ohne die Kulturisten keine solchen Veranstaltungen besuchen.
Was ist die nächste Veranstaltung, worauf hätten Sie Lust?
Elisa: Richtig Lust hätte ich auf „Die Zauberflöte“ im Opernhaus. Weil ich da selbst im Chor singe, bin ich selten als Zuschauerin da. Auch die Kunsthalle fände ich extrem interessant. Oder mal mit dem City-Sightseeing-Bus durch die Stadt, das wäre auch cool.
Friedrichs: Ich würde gern zum Fußball, zu Holstein Kiel. Oder ins Kino, da war ich lange nicht, und beim Seniorenkino laufen keine Filme, mit denen ich was anfangen kann.
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