Leichtathletik-Hallen-EM in Istanbul: Begrenztes Interesse

Bei der Leichtathletik-Halleneuropameisterschaft wird Sport vom Feinsten zelebriert. Aber die Ränge bleiben in Istanbul zumeist leer.

Sandkisten-Überflieger: Bulgariens Bozhidar Saraboyukov springt in Istanbul.

Sandkisten-Überflieger: Bulgariens Bozhidar Saraboyukov springt in Istanbul Foto: Reuters

Miltiadis Tentoglou hat 20.000 Euro mitgebracht und einen eigenen Fanklub. Das Geld ist für Betroffene des verheerenden Erdbebens in der Türkei und Syrien gedacht, und die Fans des griechischen Weitsprungstars haben am Sonntagvormittag während seines Finales für Stimmung in der Ataköy-Arena in Istanbul gesorgt. Das war erfrischend, denn seit Donnerstag findet hier Weltklasseleichtathletik weitgehend ohne größere Anteilnahme der lokalen Öffentlichkeit statt.

Nur am Freitagabend war es mal ein bisschen voller; da hatte sich Lokalmatadorin Tuğba Danışmaz den Titel im Dreisprung geholt. „Wir gehen durch schwere Zeiten“, sagte die 23-Jährige im Anschluss: „Und wenn ich die Menschen glücklich machen kann mit meiner Medaille, wenn ihre Wunden dadurch ein kleines bisschen heilen, dann macht mich das sehr stolz.“

Viele Istanbuler wissen allerdings nicht, dass Europas Leichtathletik­elite in der Stadt ist. Die EM wird vom Veranstalter und vom Europäischen Leichtathletik-Verband nahezu verschämt versteckt. Selbst im unmittelbaren Umfeld der Arena weist nichts auf die Meisterschaften hin, keine Plakate, keine Flaggen, keine irgendwie geartete Promotion. Man wolle aus Respekt vor den Erdbebenopfern darauf verzichten, hatte es geheißen, nachdem die Entscheidung gefallen war, das Event nur vier Wochen nach der Katastrophe stattfinden zu lassen. Dem Vorhaben, einen Euro pro verkaufter Eintrittskarte zugunsten der Betroffenen zu spenden, hilft das nicht unbedingt.

„Sport ist eine gute Sache“

Die Athleten sind vor allem froh, dass diese Meisterschaften stattfinden. Der norwegische Mittelstreckenstar Jakob Ingerbrigsten etwa sagte: „Sport ist eine gute Sache in schwierigen Zeiten.“ Für ihn und die anderen Superstars seiner Zunft ist eine Hallen-EM in einem WM-Jahr ein wichtiges Training unter Härtefall-Bedingungen. Deshalb sind die Starterfelder top besetzt, deshalb wird hier ein beachtliches Leistungsspektakel abgefeuert.

Am Freitag brillierten die Siebenkampf-Olympiasiegerin Nafissatou Thiam aus Belgien und ihre polnische Kollegin Adrianna Sulek in einem epischen Hallen-Fünfkampf, an dessen Ende beide den Weltrekord der Ukrainerin Natalya Dobrynska (5.013 Punkte) knackten – Thiam mit 5.055 Punkten etwas deutlicher als Sulek mit 5.014 Zählern. Gedanklich war die Siegerin danach schnell beim Siebenkampf im Sommer, der Weitsprung und der Hochsprung seien noch nicht perfekt gewesen, sagte sie: „Daran werde ich arbeiten.“

Auch Shootingstar Femke Bol blickt längst gen Budapest und WM. Die 23 Jahre alte Holländerin war im vergangenen Sommer mit Siegen über 400 Meter, 400 Meter Hürden und mit der 4x400-Meter-Staffel eine der auffälligsten Figuren der Münchner EM. Im Februar knackte sie nun den ältesten Weltrekord der Leichtathletik: Sie rannte die 400 Hallen-Meter in 49,26 Sekunden und stieß Jarmila Kratochvílová vom Thron. In Istanbul holte sich Bol mit langem Schritt wie erwartet den Titel. Und sie sagte: „Ich habe schon viele EM-Titel, aber es fehlt mir der WM-Sieg. Der Hallenweltrekord ist ein Schritt dorthin.“

Spikes unter Verdacht

Weitspringer Tentoglou wurde seiner Favoritenrolle ebenfalls gerecht. Ganz glücklich war er mit seiner Siegweite von 8,30 Metern aber nicht, er haderte mit der frühen Startzeit. Auf Instagram hatte er kundgetan, 8,40-Meter-Sprünge abliefern zu können, wann immer er wolle. Hintergrund war seine Disqualifikation im polnischen Toruń aufgrund angeblich nicht zulässiger Wettkampfspikes.

Er sprang tatsächlich eine Woche später in Paris mit anderen Schuhen 8,41 Meter und versteigerte die umstrittenen Spikes für den guten Zweck. 20.000 Euro kamen wie gesagt zusammen, die griechische Verbandspräsidentin Sofia Sakorafa übergab in Istanbul einen Scheck an ihren türkischen Amtskollegen Fatih Çintimar. „Es sind ja nicht die Schuhe, die mich so weit springen lassen“, sagte Tentoglou. Danach blickte er schnell in Richtung Budapest: „Da will ich Gold gewinnen.“

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