: Europa bringt den Wandel
Selbst wenn sich die Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetz für die Bundesrepublik hinauszögert, müssen deutsche Gerichte die entsprechenden EU-Richtlinien anwenden. Europäische Union stellt Mittel zur Betroffenen-Vernetzung bereit
Von Kai von Appen
Druckermeister Hans Meier* ist bei seinen KollegInnen im Prüfungsausschuss für OffsetdruckerInnen wegen seiner langjährigen Erfahrung und Kompetenz als „versierter honoriger Kollege“ sehr geschätzt. Trotzdem ist er von der Handelskammer aus dem Ausschuss verbannt worden. Denn Hans Meier ist 67 Jahre alt. „Kollegen, die das 65. Lebensjahr erreicht haben, wird die fachliche Kompetenz aberkannt“, begründet Handelskammer-Geschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz die Maßnahme. Qualitätsrichtlinien sollen konsequenter umgesetzt werden.
Der Prüfungsausschuss fühlte sich „brüskiert“ über die „nicht gerechtfertigte Diskiminierung ohne Gesetzesgrundlage“. Schreiben und Rücktrittsdrohungen nutzten nichts – die Kammer blieb stur. Unmittelbar vor Beginn der Prüfungen an der Gewerbeschule 5 trat der Ausschuss aus Protest zurück – die Prüfungen sind gefährdet.
In der Tat hat die Handelskammer nicht nur ohne Rechtsgrundlage gehandelt, sondern gegen die EU-Richtlinien verstoßen. Danach dürfen Personen nicht benachteiligt werden aufgrund ihrer „Rasse“ oder „ethnischen Herkunft“, ihrer Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, ihrer sexuellen Identität – oder ihres Alters. Die Bundesrepublik hat als einziges EU-Mitglied diese Richtlinie noch nicht in Gesetzesform gegossen. Wenn auch der Bundestag dieser Tage ein „Antidiskriminierungsgesetz“ verabschiedet, wird es wohl nicht mehr in Kraft treten. Denn der CDU-dominierte Bundesrat wird widersprechen und der Bundestag sich wahrscheinlich nach der Vertrauensfrage am 1. Juli auflösen.
„Kein Grund zur Resignation“, sagt Sebastian Busch. „Auch eine neue Regierung wird entsprechende Gesetze verabschieden müssen“, ist sich der Anwalt sicher, der im Mai als Mitglied der deutschen Delegation an einer europäischen Tagung zur Diskrimierung teilnahm. Denn erst am 28. April diesen Jahres ist die Bundesrepublik vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) verurteilt worden, weil sie die Antirassismus-Richtlinien nicht umgesetzt hat. „Wenn weiterhin die Umsetzung von EU-Richtlinien verzögert wird, wird der Europäische Gerichtshof ein Bußgeld verhängen und das kann teuer werden“, sagt Busch.
Aber bereits heute „entfalten die Richtlinien Wirkung“, berichtet Busch. Als übergeordnetes Recht hätten sie Bedeutung für die Auslegung nationaler Rechtsvorschriften. „Die Gerichte müssen in diesem Rahmen das nationale Recht möglichst so anwenden, dass den in den Richtlinien niedergelegten Grundsätzen soweit wie möglich effektiv Rechnung getragen wird“, erläutert Busch. Zudem gelte die Nichtumsetzung seit dem EuGH-Urteil als „qualifizierter Verstoß“ gegen europäisches Recht.
„Wer einen Schaden dadurch erleidet, dass sich die Bundesrepublik rechtswidrig verhalten hat, kann Schadensersatzansprüche gegen den Staat geltend machen“, weiß Busch. Zum Beispiel ein Bewerber, der wegen Diskriminierung eine Stelle nicht erhält. Dafür müsse er nur Anhaltspunkte liefern, die auf eine Diskriminierung vermuten lassen, aber keine konkreten Beweise vorlegen. Dann muss der Arbeitgeber das Gegenteil beweisen. Beispiel: Wenn in einer Anzeige steht, es würden nur Bewerber mit akzentfreiem Deutsch genommen. Busch: „Wenn da steht, Türken werden nicht berücksichtigt, ist der Fall ohnehin klar.“
Ein weiterer Fall aus der Praxis: Busch vertritt gerade Mandanten gegen die Agentur für Arbeit, denen das Arbeitslosengeld gekürzt wurde, weil sie sich nicht, gemäß den neuen Hartz-Regelungen, sofort bei Ausspruch der Kündigung gemeldet hatten. Die Agentur räumt zwar ein, dass nicht alle Erwerbstätigen über diese Neuregelung benachrichtigt worden seien, beruft sich aber darauf, dass dies in Zeitungen gestanden habe. „Wer aber keine deutschen Zeitungen liest, kann eigentlich nach EU-Recht nun nicht benachteiligt werden“, so Busch.
Zurzeit beteiligt sich der Jurist am Aufbau eines Netzwerks in Deutschland, das durch die EU finanziert wird. Es sollen Betroffenenverbände aufgebaut werden, die eng mit JuristInnen zusammen arbeiten. Diese sollen auf diese Thematik „trainiert“ werden, sagt Busch, „um Fälle zu isolieren, die Pilotcharakter haben.“
*Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen