piwik no script img

Prozess gegen AntifaschistinNazis haben kein Schwein gehabt

Eine Göttingerin soll einen Neonazi beleidigt haben, deshalb erhielt sie einen Strafbefehl. Das Amtsgericht sprach die 66-Jährige am Donnerstag frei.

Was aber ist mit Nazis, die keine sein wollen? Protest gegen die „Republikaner“ in Göttingen 2018 Foto: Swen Pförtner/dpa

Göttingen taz | „Links oder rechts?“ Die Frau, die am Donnerstag als eine von zahlreichen Zu­schaue­r:in­nen dem Prozess gegen die Göttinger Antifaschistin Annette R. beiwohnen will, guckt den so fragenden Justizbediensteten irritiert an. Zum Zuschauerraum gibt es schließlich nur den Zugang auf der linken Seite.

Der Fragesteller hat allerdings etwas anderes gemeint – nämlich, welcher politischen Richtung sich die Frau zugehörig fühlt. Denn linke und – wenige – rechte Pro­zess­be­su­che­r:in­nen müssen sich an diesem Donnerstag nicht nur umfassenden Personen- und Gepäckkontrollen unterziehen, sondern sollen auch getrennt voneinander sitzen, um nicht aneinanderzugeraten.

Die Staatsanwaltschaft hat der 66-jährigen Annette R. in dem Verfahren zur Last gelegt, den Neonazi Benjamin Krüger mit dem Spruch „Verpiss dich, du Nazischwein“ angesprochen und ihn damit strafwürdig beleidigt zu haben. Krüger selbst hatte die Frau angezeigt, und das Göttinger Amtsgericht erließ gegen R. im vergangenen April einen Strafbefehl in Höhe von 40 Tagessätzen à 30 Euro. Dagegen legte der Anwalt der Beschuldigten Einspruch ein, über diesen wurde am Donnerstag verhandelt: Das Gericht sprach die Angeklagte nun frei.

Am 7. Februar vergangenen Jahres, dem vermeintlichen Tattag, hatte die Göttinger Anti-Atom-Initiative ihre monatliche Mahnwache veranstaltet. Unter die Zuhörer mischten sich auch vier Neonazis – neben Krüger der ehemalige Kader der verbotenen Freiheitlich-Deutschen Arbeiterpartei (FAP), Dieter Riefling, der Anführer des inzwischen aufgelösten „Freundeskreises Thüringen/Niedersachsen“, Jens Wilke, sowie der Funktionär der faschistischen Partei „Die Rechte“, Tobias Haupt.

Rechte störten Anti-Atom-Demo

Die auch in der Anti-Atom-Ini­tiative aktive R. hatte die vier Neonazis nach eigenen Angaben am Rande der Kundgebung laut aufgefordert, die Versammlung zu verlassen. Nachdem zwei Po­li­zis­t:in­nen hinzugekommen seien und die Rechtsextremen sich in Richtung Bahnhof entfernt hätten, habe sie ihnen noch „Nazis, verpisst euch“ zugerufen, so die Beschuldigte in ihrem damals angefertigten Gedächtnisprotokoll. Vor Gericht äußerte sich R. selbst am Donnerstag jedoch nicht zur Sache.

Das Aufeinandertreffen insbesondere von Jens Wilke und Annette R. hat eine Vorgeschichte. So bedrohte der frühere „Freundeskreis“-Chef mit mehreren seiner Kameraden die Familie der Frau schon vor deren Haus über Megafon.

In dem Prozess berichtete zunächst die damals beteiligte Polizeibeamtin, wie sie und ihr Kollege einen „verbalen Konflikt“ zwischen den Neonazis und R. beobachtet hätten. Was von wem gesagt oder gerufen worden sei, konnte die Zeugin nicht sagen. Die Polizistin habe dann Krügers Anzeige aufgenommen, Wilke habe sich als Zeuge des Vorfalls zur Verfügung gestellt.

Krüger selbst behauptete in seiner Zeugenaussage, er und seine Kumpanen seien am fraglichen Abend in Göttingen „spazieren gegangen“ und eher zufällig auf die Mahnwache der Atom­kraft­geg­ne­r:in­nen gestoßen. Als sie sich vom Kundgebungsort entfernt hätten, sei R. ihnen gefolgt und habe sie permanent beleidigt. Auf die Frage der Vorsitzenden Richterin, warum ausgerechnet er sich von dem vermeintlich geäußerten Wort „Nazischweine“ angesprochen fühlte, sagte Krüger: „Weil sie mich so angeguckt hat.“

Auch die Staatsanwaltschaft forderte Freispruch

Sowohl Staatsanwaltschaft wie auch R.s Verteidiger werteten die Zeugenaussagen in ihren Abschlussvorträgen als höchst widersprüchlich und insbesondere die Schilderungen Krügers als wenig schlüssig und forderten folgerichtig Freispruch.

Krüger, der laut eigenem Bekunden schon bei zahlreichen Veranstaltungen der NPD und von „Die Rechte“ anwesend war und diese zum Teil auch selbst anmeldete, habe in seiner Anzeige und vor Gericht völlig unterschiedliche Aussagen zum Hergang gemacht und sei damit nicht glaubwürdig, so Rechtsanwalt Rasmus Kahlen.

Die Richterin, die im April vergangenen Jahres noch den Strafbefehl ausgestellt hatte, schloss sich dem Votum an. Es habe in der Verhandlung keine Möglichkeit gegeben, den Tatvorwurf der Beleidigung zu beweisen, sagte sie.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!