: Land wird Kunst
Der Springhornhof im Heidekreis feiert 40-jähriges Bestehen: Seit Ende der 1960er wird hier Pionierarbeit in Sachen Land-Art geleistet – ohne die Nachbarn zu verprellen
Von Hajo Schiff
Ist das Dreieck zwischen Bremen, Hamburg und Hannover eigentlich besonders schön oder besonders öde? Das dürfte sich nur individuell klären lassen. Eher schon könnte die Meinung herrschen, die Feld-, Wald und Heide-Gegend sei jedenfalls nicht besonders überraschend. Und dann stehen da Bäume verkehrt herum, mitten im Wald führen gepflasterte Wege ins Nichts und ein Stück Himmel ist auf die Lichtung gefallen: Im Heidekreis befindet sich eines der ältesten und wichtigsten Landschaftskunstprojekte Europas.
1966 zog das Galeristenehepaar Wilhelm und Ruth Falazik aus Bochum in den Springhornhof in Neuenkirchen bei Soltau. Obwohl Kunst damals noch weitgehend als autonomes Objekt oder bestenfalls im stadträumlichen Zusammenhang gedacht wurde, begannen sie fast zeitgleich mit der ganz neuen Entwicklung der „Land Art“ in den Wüsten der USA, Projekte in den Wäldern und auf den Wiesen der Umgebung zu initiieren. In Symposien konnten Künstlerinnen und Künstler ihre Beziehung zur Landschaft definieren und ausformen, bauten mit Materialien aus der Natur oder setzten Skulpturen auch pointiert gegen die spezifische Situation vor Ort.
Die erzielten Irritationen waren dabei keineswegs auf den zufällig vorbeikommenden Wanderer beschränkt. Denn der mag gerne als Natur nur wahrnehmen, was längst eine genutzte und aufgeteilte Landschaft ist. So gab es von Anfang an einen sozialen Aspekt: Künstlerische Interventionen sind ohne Verständnis und Hilfe von denen, denen die Ländereien gehören sowie den politischen Gremien der Ortschaften, von Stammtisch, Feuerwehr und Forstverwaltung, nicht möglich. Und dass das insbesondere zu Beginn des Projekts nicht ganz einfach war, versteht sich: Der oft etwas verschlossene Charakter der Heidjer ist nicht nur Klischee.
Inzwischen ist das Projekt angewachsen auf mehr als 40 Landschaftskunstwerke internationaler Künstlerinnen und Künstler, der maximale Rundweg zu allem hat eine Länge von über 35 Kilometer. Das Projekt ist Mitglied im „european landart network“ und so erfolgreich, dass es sich inzwischen auch Selbstironie leisten kann: Im Nachbarflecken Tewel haben die skandinavischen Künstler Elmgreen & Dragset einen „Park für unerwünschte Skulpturen“ eingerichtet, eine Art Gnadenhof für anderswo abgeräumte Objekte.
Auf die Dauer war dergleichen Aufwand nicht von einer privaten Galerie zu leisten: Der Springhornhof ist seit 1982 ein Kunstverein. Nach dem Tod der Gründerin Ruth Falazik 1998 gelang es dann, in durchaus nicht selbstverständlicher Kooperation von Kreis und Land, von den ökonomischen Schwergewichten der Region ebenso wie den politischen Gremien und den privaten Förderern, mit einer Stiftung das Projekt „Kunst – Landschaft“ und die Ausstellungen langfristig zu sichern. Im Dezember konnte das 40. Jubiläum des Vereins gefeiert werden: Es gratulierten Kunstprofessoren aus Bremen und Lüneburg und Meike Behm, die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Kunstvereine Deutschlands, dazu prominent die Politik vom Bürgermeister über den Pfarrer zum Landrat und Vertretern der niedersächsischen Regierung, auch SPD Vorstand Lars Klingbeil, dessen Wahlkreis hier zu finden ist.
Heute präsentiert sich der Springhornhof unter Direktorin Bettina von Dziembowski zu den Außenprojekten auch als Ausstellungshaus aktueller Kunst mit vier großen Räumen in den ehemaligen Stallungen, mit Bibliothek und einem Shop, der ein eigenes Projekt der Künstlerinnengruppe „myvillages“ ist: Der „Internationale Dorfladen“ in der Diele bietet eigens gefertigte Produkte aus den Regionen Europas von Russland bis Spanien. Auf dem Heuboden finden Künstlergespräche, Kinderprogramme und Workshops statt. Im Obstgarten zeigt der ortsansässige Bildhauer Hawoli seine Skulpturen. Der ehemalige Hühnerstall ist ein Gastatelier und im historischen Treppenspeicher befindet sich das „Institut für Paläolithische Archäologie“ des Künstlers Mark Dion.
Gespiegelte Momente und redende Steine, Worte als Wegmarken und verblüffende Brücken, zu Objekten erstarrte Gedankenskizzen und verwunschene Gerätschaften begleiten den Jahreslauf der Landschaft. Und über ästhetische Naturinterventionen oder plastische Materialkontraste hinaus, geht es immer öfter auch um die strukturellen Problematiken des ländlichen Lebensraumes: Die aktuelle Ausstellung von Asunción Molinos Gordo thematisiert machtpolitische Aspekte der Lebensmittelökonomie. So liefert die Kunst in der Heide oft poetische Momente, immer emotionale und intellektuelle Anregung und bewirkt trotz scheinbarer Idylle eine eher unromantische Angleichung von Stadt und Land.
Kunstverein & Stiftung Springhornhof, Tiefe Str. 4, Neuenkirchen (bei Soltau). Landschaftskunst jederzeit zugänglich, Ausstellung derzeit nur nach Vereinbarung ☎05195 / 93 39 63
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen