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Jenni ZylkaCultural AppreciationMehr Vielfalt durch mehr Blau

Foto: Archiv

Auch wenn das nicht jeder Mensch gleich stark wahrnimmt: Wir stecken mitten in der „Award Season“ (die nicht mit der „fünften Jahreszeit“ zu verwechseln ist, oder vielleicht doch – Kostüme könnten bei beiden eine Rolle spielen). Die „Award Season“ erstreckt sich über mehrere Monate, und in ihr finden alle Nase lang Filmpreisverleihungen statt. Da ich Filmpreise mag und sich mein Hobby – Filme gucken – zudem dankenswerterweise mit meinem Beruf – Filme gucken – deckt, habe ich erfreut „Yes!“ geschrien, als die Meldung kam, man suche neue „international voters“ für die Golden Globe Awards – seit 1944 vergibt die „HFPA“, eine Gruppe nichtamerikanischer, aber in Hollywood ansässiger Film­jour­na­lis­t:in­nen diese Preise, und ich habe die Kol­le­g:in­nen immer schon beneidet.

Nicht nur, weil sie bei der alljährlichen Vergabe im Januar todschick gekleidet im Hol­ly­wood’schen Beverly Hills Hotel sitzen, während unsereiner sich freut, wenn er auf einem verschlonzten Kurzempfang ein Glas sauren Sponsorenriesling ergattert – sondern vor allem wegen des Auswahlprozederes: Die Jour­na­lis­t:in­nen bekommen fast alle Filme des Jahres zu sehen (die Golden-Globes-Qualifikation hängt, ähnlich wie bei den Oscars, damit zusammen, dass der Film für einige Zeit in einem kalifornischen Kino gelaufen sein muss.)

Dass die HFPA in den letzten zwei Jahren einen Shitstorm nach dem anderen einfuhr, schreckte mich kaum – den Vorwurf, bestechlich zu sein und bestimmte Filme oder Serien nur zu wählen, weil man vorher von der Produktion eine Kiste Schampus oder einen Paris-Kurztrip geschenkt bekam, kann ich zwar nachvollziehen, und bin natürlich hochgradig empört. Aber ich hätte die Schampuskiste allein aus Nachhaltigkeitsgründen behalten müssen – wer schickt denn so schwere Pakete zurück?! – und hätte mir selbstredend trotzdem meine Unabhängigkeit bewahrt, hicks. Zudem ist das mit den Korruptionsversuchen vorbei – bei mir kam nicht ein einziges Piccolöchen an. Auch den schönen Sichtungseinladungen mit „Our screening will take place on Park Avenue in New York“ oder „at 77 Sunset Strip in LA“ musste ich eine Absage erteilen, stattdessen bekam ich schnöde Links in mein schnödes Kreuzberger Arbeitszimmer.

Der andere Vorwurf bezog sich auf die mangelnde Diversität der HFPA-Mitglieder – es handele sich ausschließlich um Weiße. Ob man das so stehen lassen kann oder nicht, liegt angesichts der Voter-Nationalitäten ein wenig im Auge des Betrachters – die Kol­le­g:in­nen stammten – schon vor der Kritik – unter anderem aus Singapur, Japan, Südkorea, Südafrika, Puerto Rico, Kuba, Mexiko, Marokko, Ägypten und Tahiti.

Aber ich finde es immer gut, die Reihen zu öffnen, und so sahen die Zoom-Calls mit den neuen, etwa 100 internationalen Kol­le­g:in­nen um einiges vielfältiger und vielversprechender aus als die knöchernen Gestalten auf den Golden-Globe-Fotos der letzten Jahrzehnte.

Jenni Zylka, freie Autorin, lebt in Berlin.

Angesichts der diesjährigen Ergebnisse habe ich mich am Ende allerdings doch gefragt, inwiefern die Vergrößerung des Mitgliederstamms auch für die Vielfalt der ausgewählten Filme steht: In der engeren Wahl für den „besten Film“ waren nach unserer Nominierungsrunde neben „Avatar – The Way of Water“, einer bombastischen CGI-Schleuder mit klischierter 50er-Jahre-Story, auch „Top Gun – Maverick“. Letzteren kann man erzählerisch nicht gerade einen Aufbruch zu neuen Ufern nennen. Die neuen, diversen Kol­le­g:in­nen haben darüber hinaus keinen einzigen der vielen großartigen Filme einer Regisseurin nominiert, etwa „She Said“ oder „The Woman King“.

Die Kol­le­g:in­nen haben keinen einzigen Film einer Regisseurin nominiert

Die meisten Preise gewann am Ende der autobiografische Steven-Spielberg-Film „The Fabelmans“, in dem der 76-Jährige auf seine Entwicklung zum Regisseur zurückblickt. Nun ja. In „Avatar“ sind die alten weißen Männer immerhin blau und grün. Und das könnte dann ja doch etwas mit Karneval zu tun haben.

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