: Triumph der Triangel
Die junge, hinreißend singende Jazzsängerin Myrto Areteou sowie Nikos Madalias und seine Band traten bei einem Rembetiko-Abend in der Passionskirche auf
Seit Wochen lockte das Plakat im Schaufenster von Herrn Sotiriadis, dem griechischen Lebensmittelhändler: Rembetiko! Also nicht Sirtaki-Folklore, sondern die Musik des griechischen Untergrunds, die Lieder der Strauch- und Tagediebe, Lumpenproleten, Drogenkonsumenten, Kleindealer, Schmuggler und Knackis. Das griechische Wort rembetis bedeutet unter anderem unbändig und widerspenstig; Rembetika sind einfache Lieder, die von den Manges erzählen, den Außenseitern, von Liebe, Drogen und Tod.
Rembetiko entstand Ende des 19. Jahrhunderts in Gefängnissen und wurde zunächst ausschließlich dort oder in den Tekedes gespielt, den illegalen Kneipen und Haschischhöhlen. In den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts wird Rembetiko populär und kommerzieller, aber die Rembetika, die sich um Drogen und Politik drehen, bleiben verboten. Ab 1941 wüten die Deutschen in Griechenland; die jüdische Gemeinde von Saloniki wird nahezu vollständig deportiert und ermordet. Die Jüdin Rosa Eskenazi, die damals populärste Rembetiko-Sängerin, entgeht der Deportation nur durch das Einschreiten eines hochrangigen Verehrers, dem griechischen Nazi-Kollaborateur General Tsigandes. Von 1945 bis 1955 hatte der Rembetiko noch Konjunktur, wurde dann aber von anderen Musikstilen verdrängt. Erst seit den Achtzigerjahren sind die früher zensierten und verbotenen Rembetika wieder allgemein zugänglich. 2001 erschien bei Trikont Christos Davidopoulos’ verdienstvolle 2-CD-Kompilation „Rembetika“, in Berlin hört man auf Radio MultiKulti ab und an Anzeichen einer Rembetiko-Renaissance.
Kurz nach acht am Samstagabend betreten Nikos Madalias und seine Musiker die Bühne der Kreuzberger Passionskirche. Für Rembetiko, die unterdrückte, dunkle, voll gerauchte und versteckte Sache, ist dieser Ort eher ungeeignet – zumal das Publikum zu einem nicht geringen Teil aus älteren deutschen Griechenlandreisenden besteht, die zum musikantenstadeligen Mitpatschen fest entschlossen sind.
Die Band gibt dazu keinerlei Anlass. Dezent und virtuos lassen die acht Herren die orientalisch angehauchte Musik losschaukeln, Hauptinstrumente sind zwei Buzukis und das nur suppenkellengroße Baglamas. Der Kontrabass swingt, Gitarre und Keyboards setzen verhaltene Akzente. Zwei Perkussionisten klopfen mit Rücksicht auf das zarte menschliche Trommelfell eher leise auf die gespannten Tierhäute vor ihnen, und zu meinem Erstaunen verhelfen sie der Triangel zu Ansehen, Ehre und Triumph. Bei fast jedem Lied bringt einer der beiden Rhythmiker dieses belächelte Instrument hingebungsvoll zum Einsatz.
Star des Abends ist Myrto Areteou. Die junge Jazzsängerin hat eine große Stimme und Ausstrahlung. Auf eine scheue Art liebenswürdig und unaufdringlich, stellt sie die Lieder vor, die sich um Sehnsucht und Liebe drehen, um eine Krebsmutter, die ihre Krebskinder verließ und mit einem Fisch nach Athen durchbrannte, oder um die Argiles, die Haschischwasserpfeife.
Man könnte der Musik und der hingebungsvollen Stimme von Myrto Areteou lauschen, doch das will die deutsche Folklorefraktion nicht dulden. Sobald auf der Bühne etwas Intensives entsteht, bricht ein Rudel verblühter Damen, dem „Salz auf unserer Haut“-Kitsch in Treue verbunden, zuverlässig in arhythmische Ruckartigkeit aus. Möge der Karl-Moik-Gedächtnis-Gulag die Endlagerstätte aller Mitklatschterroristen sein.
WIGLAF DROSTE
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