piwik no script img

Explizite Primetime

Die über Lebende geht: die neue Staffel des britischen Erfolgskrimis „Gerichtsmedizinerin Dr. Samantha Ryan“ (RTL, 20.15 Uhr)

VON CHRISTIAN BUSS

Zuerst die Entwarnung: Die Kürzungen, die RTL wegen des früheren Sendeplatzes an seinem Qualitätsimport vornehmen musste, fallen nicht ins Gewicht. Früher lief „Gerichtsmedizinerin Dr. Samantha Ryan“ um 22.15 Uhr; die zwölf neuen Folgen werden nun alle schon um 20.15 Uhr zu sehen sein, wo der Jugendschutz härter greift. Schenkt man den Ansichtskassetten Glauben, die RTL an die Presse verschickt hat, sind die Schnitte allerdings chirurgisch brillant gesetzt. Die nüchterne Explizität der Krimireihe wurde nicht spürbar beeinträchtigt.

Die erste Episode hält jedenfalls durchaus wieder ein paar umfassende Seziertischszenen parat: Es geht um eine Massenkarambolage, durch die ziemliches Gedränge in der Londoner Gerichtsmedizin herrscht. 11 Menschen sind umgekommen und müssen obduziert werden. Eine günstige Fügung also, dass Sam Ryan (Amanda Burton), die sich in der Vergangenheit gelegentlich mit den Toten besser zu verstehen schien als mit den Lebenden, jetzt in einem richtigem Team agiert und die Arbeit delegieren kann. Ihr zur Seite stehen neuerdings Dr. Leo Dalton (William Gaminara) und der junge Dr. Harry Cunningham (Tom Ward).

In einer geschmeidigen Sequenz, die für die über jede spekulative Hysterie erhabene BBC-Produktion typisch ist, werden die Pathologen bei der Arbeit gezeigt: Dalton schält verkrustete Innereien aus einer Brandleiche; der noch unerfahrene Cunningham muss sich überwinden, den Corpus einer Siebenjährigen aufzuschneiden; Ryan tastet sich derweil mit der Hand in die Bauchpartie einer Toten vor, die im dritten Monat schwanger war, und doziert über die Entwicklung des Fötus.

Wie in wenig anderen Produktionen des in den letzten Jahren immer beliebteren Genres des Pathologenkrimis wird in „Gerichtsmedizinerin Dr. Samantha Ryan“ geschickt die Balance gehalten: Einerseits stellt man hier konsequent die Materialität alles Kreatürlichen heraus, andererseits werden die Leichen niemals wie Biobausätze ohne Geschichte behandelt. Wer die Toten dazu bringen will, etwas mitzuteilen, muss ihnen mit Respekt entgegentreten.

Die Glaubwürdigkeit der britischen Serie steht und fällt selbstverständlich mit ihrer Heldin, einer Art Anwältin des Totenreiches. Durch die Befragung der toten Zeugen stört sie nicht selten die Arrangements der Lebenden. Die nordirische Schauspielerin Amanda Burton, die inzwischen auch als Produzentin der Reihe agiert, spielt die Pathologin mit subtiler Weltverachtung. Für andere Menschen hat die Medizinerin oft nur ein spöttisches Lächeln übrig, bei der Arbeit scheint sie hingegen gelegentlich von einer gewissen Zärtlichkeit für die Objekte unter ihrem Messer befallen zu werden.

Erstaunlicherweise hat es Burton mit dieser glamourunverdächtigen Rolle mehrmals in Umfragen zur beliebtesten Schauspielerin Großbritanniens gebracht. Nach fast zehn Jahren Einsatz hatte sie allerdings genug von ihrer Rolle und organisierte unlängst die Übergabe des Sezierbestecks an die jüngere Emiliana Fox.

In der BBC ist die Staffel mit der Neuen gerade gelaufen; wenn sie denn auch hierzulande gezeigt wird, muss sich RTL endgültig vom deutschen Titel „Dr. Samantha Ryan“ trennen, der ja sowieso äußerst unplausibel ist: Die Heldin wird im Film nur kurz und nüchtern Sam gerufen, außerdem ist sie längst Professorin. Zeit also, endlich den trefflichen Originaltitel ins Deutsche zu übersetzen – „Stummer Zeuge“. Schließlich gibt der leblose Körper in keiner anderen Serie mehr über den Menschen preis, der ihn zuvor bewohnt hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen