Nach der Oder-Katastrophe 2022: Warten auf den frischen Fisch
Aus der Oder holt Fischer Henry Schneider derzeit keine Fische raus. Nach dem großen Fischsterben im Sommer 2022 muss sich der Bestand erst erholen.
Hunderte Tonnen Fische sind damals in der Oder verendet, die Ursache gilt mittlerweile als geklärt: Polnische und deutsche Expert*innen identifizierten unabhängig voneinander die Goldalge „Prymnesium parvum“ als Auslöser für das Fischsterben. Die Blüte der Alge erzeugt bei Verbreitung ein Toxin, das die Atmungsorgane von Kiemtieren schädigt. Die Alge lebt eigentlich in Salzwasser oder Gewässern mit einem hohen Mineralgehalt. In der Oder konnte sie sich nur wegen eines hohen Salzgehaltes vermehren, der von der Einleitung von Substanzen in die Oder und einem niedrigen Wasserstand kommen soll.
Heute wirkt es ruhig in Brieskow-Finkenheerd, von der Naturkatastrophe ist auf den ersten Blick nichts zu sehen. Auch für Fischer Schneider und seinen Familienbetrieb ist es diesen Winter etwas ruhiger geworden. Gemeinsam mit anderen Fischer*innen der Region habe sich seine Familie damals entschieden, die Oder bis Jahresende nicht weiter kommerziell zu befischen, damit sie sich erholen kann. „Das wird sich wahrscheinlich bis zum Frühjahr hinziehen“, sagt er nun beim Besuch des taz-Reporters Ende Dezember.
Dass die Oder und der Fischbestand wieder was werden, hofft Schneider auch für nachfolgende Generationen. „Ich bin schon die fünfte Generation, die diesen Betrieb führt“, sagt der Fischer stolz. Nicht nur er, auch seine Mutter, sein Vater und sein Bruder sind vollzeitlich Teil des Betriebs. „Wir sind Direktvermarkter, geben nichts an den Großhandel ab und wollen nachhaltig auch für die kommenden Generationen fischen.“
Ausweichen auf die Seen
Weil das Fischen aktuell nicht möglich ist, kauft der Fischer Fisch bei Berufskolleg*innen ein, die in anderen Gewässern fischen, und weicht auch selbst auf benachbarte Seen aus. Finanziell kommt er so über die Runden: Neben dem Fisch-Verkauf auf Märkten hat er ja auch noch seine Pension, in der er ein paar Zimmer an Tourist*innen vermietet. Vom Land Brandenburg hätten betroffene Betriebe außerdem finanzielle Hilfen erhalten, erzählt er.
Und so hat sich rund fünf Monate nach der Katastrophe viel von der Aufregung gelegt, auch im Ort. Damals hatte der Fischer viel Verantwortung auf einmal gehabt: Einerseits war die Medienpräsenz überwältigend, andererseits war Schneider auch Anlaufstelle für die Menschen im Ort, wie er berichtet.
Doch auch wenn erstmal wieder Ruhe eingekehrt ist, die Idylle um die Oder trügt: Seit Jahren geht das Stichwort „Oder“ auch mit der Frage nach dem Oder-Ausbau einher. Dieser wird nicht erst seit dem Fischsterben von den Naturschützer*innen scharf kritisiert. Dass Polen durch die Erneuerung von Buhnköpfen, das sind quer in den Fluss gebaute Barrieren, die Fließgeschwindigkeit der Oder erhöhen will, sei ein großes Problem, sagen sie. Dadurch würde sich der Flussboden abtragen und so mehr Platz für Binnenschifffahrt geschaffen werden.
Die offizielle Begründung von polnischer Seite ist jedoch Hochwasserschutz. Die Grundlage: Das deutsch-polnische Wasserstraßenabkommen aus dem Jahr 2015. Finanziert wird der Ausbau durch die Weltbank. Die brandenburgischen Grünen vermuteten eine mögliche Zweckentfremdung der für Hochwasserschutz bewilligten Mittel.
Nicht nur Naturschützer*innen, sondern auch das brandenburgische Umweltministerium äußern Bedenken. Konkrete sogar, denn um gegen den Ausbau vorzugehen, haben Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) und verschiedene Naturschutzverbände Klage bei der polnischen Generaldirektion für Umweltschutz eingereicht. Diese hatte die Klage an ein Warschauer Verwaltungsgericht weitergeleitet.
„Aus unserer Sicht wird der Ausbau der Oder auf polnischer Seite das ohnehin bereits stark geschädigte Ökosystem weiter beeinträchtigen“, sagte Vogel im November. Die Klimakrise würde auch in Zukunft häufiger für Niedrigwassersituationen und erhöhte Wassertemperaturen sorgen. Da stiege die Gefahr für weitere Fischsterben, wenn sich der Umgang mit der Oder nicht ändere.
Nun hat das Verwaltungsgericht in Warschau die Genehmigung zum Oder-Ausbau vorläufig gestoppt. Wann mit einer endgültigen juristischen Entscheidung zu rechnen ist, ist noch unklar. Auf taz-Anfrage bestätigt der Deutsche Naturschutzring (DNR): Das Verwaltungsgericht habe in der schriftlichen Begründung geschrieben, die Fortsetzung der Arbeiten ohne genaue Prüfung auf mögliche ökologische Auswirkungen mache es wahrscheinlich, dass schwere und sogar irreversible Schäden an der Umwelt verursacht werden. Jedoch betont der DNR, die Umweltverbände würden sich noch nicht über diesen Sieg freuen können: Die Entscheidung sei nämlich noch nicht rechtskräftig.
Den Ausbau gab es schon immer
Zurück nach Brieskow-Finkenheerd: Fischer Schneider steht auf einem Buhnkopf und betrachtet die fließenden Wassermassen, die sich langsam durch das Flussbett schieben. Zum Oderausbau möchte er sich nicht wirklich äußern. „Die Oder wurde schon immer ausgebaut“, sagt er. Was nun passiert, könne er schlecht einschätzen. „Für die Fischerei ist es gut, wenn es bleibt, wie es ist. Wenn allerdings mal Hochwasser ist, wünsche ich mir aber natürlich auch Sicherheit.“
Links und rechts ist das Ufer an diesem Tag leicht mit Schnee bedeckt, auf der anderen Seite liegt das polnische Festland. „Hier ist der Bereich, in dem ich normalerweise fische“, erzählt er, sein Atmen kondensiert in der kalten Luft. Im Moment führe er aber nur Probefischfahrten zusammen mit dem Institut für Binnenfischerei durch.
Dabei würde sich zeigen, dass manche Fischarten mehr vom Fischsterben betroffen waren als andere, darunter Zander und Hecht. Die „mittleren Größen“ würden inzwischen jedoch wieder häufiger vorkommen. „Der Schlei hat nach jetzigem Stand weniger gelitten“, sagt Schneider. Schlei, gebraten – das ist sein Lieblingsfisch.
Zum Jahresende gibt es dann noch eine schlechte Nachricht für die Oder: Der Naturschutzbund (Nabu) hat den Fluss mit dem Negativpreis „Dinosaurier 2022“ bedacht. Der seit 1993 verliehene Preis geht jährlich an Personen und Projekte, die sich durch besonders rückschrittliches Engagement in Sachen Natur- und Umweltschutz hervorgetan haben. „Wer in diesem Jahr nach der größten Umweltsauerei sucht, hat sofort die Umweltkatastrophe an der Oder vor Augen“, erklärte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger.
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