Film „The Banshees of Inisherin“: Suche nach dem gelungenen Leben
Ein Mann beendet eine Freundschaft. Warum? Dem geht der Kino-Film „The Banshees of Inisherin“ grotesk komisch und tragisch nach.
Eigentlich ist es mit Freundschaften etwas anderes als mit romantischen Beziehungen. Sie zu beenden, kommt äußerst selten vor. Gerade, wenn es dafür keinen handfesten Grund gibt. Eher schlafen sie allmählich ein, wenn sich die einst freundschaftlich Verbundenen auseinandergelebt haben und schlicht keinen Kontakt mehr suchen.
Im Fall von Pádraic Súilleabháin (Colin Farrell) und Colm Doherty (Brendan Gleeson) aber passiert genau das: Nachdem die beiden Männer ihre Nachmittage auf der fiktiven irischen Insel „Inisherin“ stets gemeinsam im einzigen örtlichen Pub miteinander verbrachten, beschließt der ältere der beiden, Colm, vom einen Tag auf den anderen, keine Zeit mehr mit Pádraic verbringen zu wollen. Weil er ihn einfach nicht mehr möge, erklärt er ihm.
Die Prämisse von Martin McDonaghs im Jahr 1923 angesiedelten Tragikomödie „The Banshees of Inisherin“ ist so simpel wie skurril. Für den britisch-irischen Filmemacher bildet sie das Fundament für eine überraschende Reflexion über die Frage, was ein gelungenes Leben ausmacht. Wie schon in seinem Langfilmdebüt „Brügge sehen … und sterben?“, in dem Farrell und Gleeson als Auftragsmörder ebenfalls ein ungleiches, aber tief verbundenes Duo bildeten, kreiert der Drehbuchautor und Regisseur dafür eine eigentümliche Stimmung.
Eine, die spätestens mit seinem Film „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ von 2017 zu einer unverwechselbaren Handschrift avanciert ist. Sie bewegt sich zwischen den Extremen grotesker Komik und niederschmetternder Tragik, die sich im Laufe der Geschichte allmählich ausbreitet und in ein unerbittliches Finale mündet. Das geht mit einem beinah absurden Maß an Gewalt einher – enthält aber stets eine wertvolle humanistische Erkenntnis.
„The Banshees of Inisherin“. Regie: Martin McDonagh. Mit Colin Farrell, Brendan Gleeson u. a. Irland/USA/Vereinigtes Königreich 2022, 109 Min.
Zunächst entwickeln sich die Ereignisse in der überschaubaren Gemeinde mit einer gewissen Arglosigkeit. Pádraic kann nicht fassen, dass sein jahrzehntelanger Gefährte urplötzlich nichts mehr von ihm wissen will, sucht Rat bei seiner Schwester Siobhán (Kerry Condon) und probiert stattdessen, eine Beziehung zu Dominic (Barry Keoghan), dem einfältigen Sohn des grobschlächtigen Dorfpolizisten (Gary Lydon), aufzubauen.
Keine Zeit verschwenden
Doch niemand kann ihm eine Antwort darauf liefern, was es mit dem Geisteswandel seines einzigen Freundes auf sich hat. Die Meisten sehen in seinem Verhalten nur eine momentane Spinnerei. Dem aber ist nicht so, wie dieser bald selbst ausführt: Unversehens an seine eigene Sterblichkeit erinnert, möchte er seinen Alltag grundsätzlich ändern und seine Zeit nicht mehr mit immer gleichen, faden Gesprächen mit dem geistlosen Pádraic verschwenden.
Stattdessen möchte er sich voll und ganz dem Komponieren von Folk-Musik widmen, um etwas zu schaffen, das bleibt. Der unbescholtene Pádraic, der nicht zur Schwermut neigt und offensichtlich nicht viel mehr zum Glücklichsein braucht als einen Kumpan und seine Schwester, seine geliebten Tiere und Guinness, kann diese Entscheidung nicht akzeptieren. Auch dann nicht, als Colm ihm ein schauriges Ultimatum stellt: Für jedes Mal, wenn sein bisheriger Freund versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen, wird er sich einen Finger abschneiden.
Wozu „The Banshees of Inisherin“ hier ansetzt, ist kein philosophischer Parforceritt, sondern besticht gerade durch die Prägnanz der Pole, die aufeinandertreffen: Was ist eigentlich erstrebenswerter – ein netter oder ein interessanter Mensch zu sein? Von wenigen geliebt oder vielen bewundert zu werden? Und losgelöst von äußeren Zuschreibungen, im Hinblick auf die eigene Existenz und wie wir sie füllen: besser mit Dingen, die für den Moment glücklich machen, oder solchen, denen wir eine langfristige Bedeutsamkeit unterstellen?
Die Handlung des Films, den McDonagh vor beinahe dreißig Jahren als Bühnenstück anlegte, aber nie zur Aufführung brachte, konfrontiert sein Publikum mit derlei Erwägungen über ebenso verquer-witzige wie vielsagende Dialoge. In einem zentralen Moment etwa, wenn Pádraic den abgewandten Colm im Pub zur Rede stellt und ihm bewusst machen möchte, dass eine Freundschaft zu ihm von Bedeutung ist, schlicht weil er nett sei. Dieser reagiert mit einer Gegenfrage danach, an welche Persönlichkeit aus dem 17. Jahrhundert man sich heute noch erinnere, weil sie nett war. Die Antwort gibt er selbst: An keine. Aber Mozart, an den erinnerten sich alle.
„Ich nicht“, erwidert Pádraic, um sein Argument zu entkräften. Dass Mozart eigentlich im 18. Jahrhundert gelebt habe, korrigiert Siobhán und führt damit vor Augen, dass es mit der vermeintlichen Unsterblichkeit gar nicht mal so weit her ist, geschweige denn mit dem Einfluss darauf, woran sich die Nachwelt erinnert und ob es am Ende mehr sein wird als ein bloßer Name.
Anstatt sich für eine Seite zu entscheiden, entlässt McDonagh mit der naheliegenden, aber nicht von der Hand zu weisenden Losung, dass es stets die Dosis ist, die das Gift macht. Während Colm sich das Diesseits in dem verbissenen Versuch, sich ein Nachleben zu sichern, zur Hölle macht, ist auch Pádraics Unbedarftheit nicht ohne Folgen für seine Mitmenschen. In seiner liebevollen, zugleich naiven Art von der Fürsorge seiner bildungshungrigen Schwester abhängig, drängt er sie insgeheim dazu, an seiner Seite zu verweilen, anstatt nach eigener Erfüllung zu suchen.
Als weiseste Figur angelegt, sagt sie, auch mit Blick auf den unweit auf dem Festland tobenden irischen Bürgerkrieg, beinahe prophetisch, dass Gewalt aus Trostlosigkeit und Groll, aus Einsamkeit und Trotz erwachse. Das trifft nicht nur auf die Wendung zu, die Colms und Pádraics Beziehung nimmt, sobald die Zugewandtheit des Letzteren in Bitterkeit umschlägt, sondern gilt für nahezu alle Charaktere, die im Laufe der nicht ganz zweistündigen Spielzeit eine Rolle spielen.
Empfohlener externer Inhalt
So erweist sich „The Banshees of Inisherin“ als das, was man eine beispielhafte emotionale Achterbahnfahrt nennt und gehört damit zur wirksamsten Sorte von Kino. Eines, das bei aller Kurzweil seinen Nachhall findet.
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