Jahrestag des Breitscheidplatz-Anschlags: „Ermittlungen müssen weitergehen“

2016 starben 13 Menschen durch einen Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz. Die Betroffenen suchen weiter nach Antworten.

Schuhe laufen über das Demkmal, ein Bronze-Riß

Erinnerung an die Anschlagsopfer: Menschen laufen über das Denkmal auf dem Breitscheidplatz Foto: Christian Mang/reuters

BERLIN taz | Sechs Jahre ist der islamistische Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz her, für die Hinterbliebenen ist dieser dennoch weiter nicht aufgeklärt. „Wir wissen bis heute nicht, wer alles Mittäter bei dem Attentat war“, sagt Astrid Passin der taz, deren Vater Klaus Jacob bei dem Anschlag getötet wurde. „Deshalb ist es für uns sehr wichtig, dass die Ermittlungen hier fortgesetzt werden. Wir wollen weiter wissen, wie es zu dieser Tat kommen konnte.“

Am 19. Dezember 2016 war der Islamist Anis Amri mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz gefahren. Den eigentlichen Fahrer hatte der 24-Jährige zuvor getötet, auf dem Markt verletzte er zwölf Menschen tödlich, dutzende weitere wurden teils schwer verletzt. Amri floh nach Italien, wo er vier Tage später nach einem Schusswechsel mit Polizisten getötet wurde.

Die Bundesanwaltschaft hat bis heute Ermittlungsverfahren zu dem Fall offen. Parlamentsanfragen zu konkreten Mittätern wurden dort zuletzt indes nicht beantwortet. Begründung: Man wolle die Arbeit der Geheimdienste nicht gefährden. Dass es Mittäter gab, ist inzwischen unstrittig – wie etwa der Untersuchungsausschuss des Bundestag festhielt.

So stand Amri beim Anschlag via Telegram in Kontakt mit einem libyschen IS-Mentor mit dem Alias „Moumou1“. Auch bewegte er sich zuvor im Netzwerk des Hildesheimer Predigers Abu Walaa, der als IS-Statthalter in Deutschland galt. In Berlin war er Vorbeter in der inzwischen verbotenen Fussilet-Moschee, bei der fünf Männer zuletzt wegen Terrorunterstützung zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden. Zudem fanden sich DNA-Spuren im Tat-Lkw, die bis heute nicht zuzuordnen sind. Auch ist unklar, wie Amri an seine Tatwaffe kam, mit der er den Lkw-Fahrer erschoss.

Faeser warnt vor anhaltender islamistischer Gefahr

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte anlässlich des Jahrestags, „dass wir den Kampf gegen den islamistischen Extremismus und Terrorismus weiterhin mit aller Konsequenz führen müssen“. Die Bedrohung halte unverändert an. So zählt der Verfassungsschutz weiterhin 28.920 Islamisten in Deutschland, ein nur leichter Rückgang zum Vorjahr. Und das BKA führt derzeit 520 Personen als islamistische Gefährder, denen schwere Straftaten zugetraut werden. Zum Vergleich: Auf rechtsextremer Seite sind es 74, auf linksextremer 11. Man müsse weiterhin jederzeit mit einem islamistischen Anschlag auch in Deutschland rechnen, erklärte Präsident Thomas Haldenwang zuletzt.

So steht derzeit ein 28-jähriger Syrer in München vor Gericht, der im November 2021 in einem ICE nach Nürnberg drei Menschen mit einem Messer teils schwer verletzte. Die Bundesanwaltschaft und Opfer, die als Nebenkläger am Prozess teilnehmen, forderten in ihren Plädoyers zuletzt eine lebenslange Haftstrafe: Der Täter habe aus islamistischem Motiv gehandelt, eine anfangs angegebene psychische Erkrankung sei nur vorgetäuscht gewesen. Gehandelt habe er als Einzeltäter.

Faeser erklärte, der Jahrestag des Breitscheidplatz-Anschlags sei „auch ein Tag der Scham, dass die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern die Tat nicht verhindern konnten, aber auch der Scham, dass die Bedürfnisse der Opfer und ihrer Familien viel zu lange zu wenig beachtet wurden“. Staatliche Stellen müssten sich Terrorbetroffenen mit „mehr Empathie und mehr Unterstützung zuwenden“. Sie dürften „kein Gewirr von Behördenvorgängen erleben“ und müssten „die bestmögliche gesundheitliche und psychologische Versorgung erhalten“.

Auch Pascal Kober (FDP), der Opferbeauftragte der Bundesregierung, versicherte, er werde „nach Kräften alles dafür tun, damit Betroffene von terroristischen und extremistischen Anschlägen die bestmögliche Unterstützung erhalten“.

Opfer beklagen zähe Behördenverfahren

Tatsächlich sieht aber auch die Hinterbliebene Astrid Passin hier noch Handlungsbedarf. So bräuchte es einfachere Überprüfungen, ob Betroffene Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz haben. Bis heute würde vor Sozialgerichten Verfahren von Betroffenen laufen, deren Bearbeitung „nicht zufriedenstellend“ sei, so Passin zur taz.

An die Opfer des Terroranschlags sollte am Montagabend auf dem Breitscheidplatz mit einer Andacht und Kranzniederlegung erinnert werden. Teilnehmen wollte daran auch Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Der Anschlag hinterlasse bis heute „tiefe seelische Narben“, erklärte auch sie. „Berlin wird diese Tat und diesen Tag nie vergessen.“

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