Fatma AydemirRed Flag: Wieder Paris. Wieder ein Einzelfall
Es war 1999, als Ahmet Kaya auf einer Gala in Istanbul mit Besteck beworfen und aus dem Saal gebuht wurde. Der Sänger und Komponist, der zu den einflussreichsten Künstler_innen der modernen türkischsprachigen Musik zählt, wurde an dem Abend mit einem symbolträchtigen Preis als „Staatskünstler“ geehrt.
Seine Dankesrede nutzte Kaya, um auf seine kurdische Herkunft hinzuweisen und ein kurdischsprachiges Lied anzukündigen, das er aufnehmen und zu dem er ein Video drehen wolle. Noch bevor Kaya die Rede beenden konnte, tobte bereits das Publikum, Popsternchen stimmten nationalistische Hymnen an, die Presse strickte aus der Rede einen Terrorvorwurf. Kaya drohten kurz darauf 12 Jahre Haft in der Türkei wegen Volksverhetzung. Ein Jahr später starb er im Pariser Exil an einem Herzinfarkt, mit 43 Jahren.
Als vergangene Woche der Anschlag auf das kurdische Kulturzentrum in Paris verübt wurde, dachte man unweigerlich an diese Geschichte zurück. Zum einen trägt das Zentrum den Namen von Ahmet Kaya, zum anderen waren auch die drei Menschen, die dort von einem französischen Rechtsextremen erschossen wurden, politisch Verfolgte aus der Türkei. Sie suchten in Paris Zuflucht, sie blieb ihnen verwehrt.
An dieser Stelle erscheinen zwei Kolumnen im Wechsel. Nächste Woche schreibt Erica Zingher die Kolumne Grauzone.
Emine Kara, die wohl bekannteste unter ihnen, hatte unter ihrem Kriegsnamen Evin Goyi in Raqqa gegen den IS gekämpft und war verletzt nach Frankreich gekommen. Ausgerechnet in dem seit Jahren von islamistischen Terroranschlägen gebeutelten Land war ihr Asylgesuch abgelehnt worden. Wie Kara wurden bereits 2013 drei kurdische Kämpferinnen mitten in Paris hingerichtet. Damals wurde für den Mord an Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez der türkische Rechtsextreme Ömer Güney verdächtigt, der sich das Leben nahm, bevor die Tat aufgeklärt werden konnte. Nach Einschätzungen sowohl deutscher als auch französischer Sicherheitsbehörden war Güney V-Mann des türkischen Geheimdienstes in Bayern und Paris.
Die kurdische Community hat genügend Grund für Misstrauen, was die bisherigen Erkenntnisse zum Anschlag auf das Kulturzentrum Ahmet Kaya angeht. Der mutmaßliche Täter wurde in eine Psychiatrie eingewiesen. Der 69-jährige Franzose war erst wenige Tage vor der Tat aus der Haft entlassen worden und wegen rassistischer Gewalt angeklagt. Letztes Jahr hatte er ein Geflüchtetenheim angegriffen und mehrere Menschen verletzt. 2016 soll er einen Mann mit einem Messer attackiert haben. Das Motiv, laut Eigenaussage: Rassismus. Das Profil, das sich aus Medienberichten bislang ergibt: rechtsextremer Einzeltäter, psychisch krank.
Aus deutschen Kontexten wie dem Anschlag in Hanau ist bekannt, dass Behörden sich mit der Theorie des kranken Einzeltäters aus der Verantwortung ziehen und wichtige Fragen unbeantwortet lassen können. Im Pariser Fall lauten sie: Wie kommt ein vorbestrafter Rechtsextremer an Waffen? Warum wird ein Treffpunkt einer offensichtlich besonders gefährdeten Community nicht ausreichend geschützt? Gibt es Hinweise, dass der Täter sich den Ort des Anschlags gezielt aussuchte? Gab es Verbindungen nach Ankara oder schoss er einfach wahllos auf „Ausländer“? Beides wäre durchaus denkbar, da gerade die kurdische Community zu allen Seiten hin vulnerabel ist. Auch in Deutschland kommt es immer wieder zu Angriffen türkischer Ultrarechter gegen kurdische Vereine und Läden sowie zu Anschlägen durch deutsche Rechtsextreme wie dem in Hanau, dem auch der Kurde Ferhat Unvar zum Opfer fiel. Die Ideologie der Täter unterscheidet sich nicht grundlegend, die politischen Implikationen der Taten schon. In jedem Fall ist auf eine zügige Aufklärung zu hoffen, die sich nicht bloß auf das einfache Schema des Einzeltäters beruft.
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