Die Wahrheit: Mein Leben als Film
Ich bin Marilyn Monroe. Nun gut, nicht so schön und nicht so tragisch. Und auch nicht bei der Vorliebe für weiße Bademäntel.
I ns Kino gehe ich grundsätzlich nicht mehr. Corona ist schuld. Mittlerweile kann ich mich nicht einmal an den letzten Film erinnern, den ich in einem Kintopp gesehen habe. Einer der letzten war „Joker“, ein super Film. Kurz darauf brach der Lockdown-Wahnsinn aus und als Kollateralschaden das Kinosterben. Mein eigenes jedenfalls.
Umso mehr bin ich bemüht, mein Leben als Film zu begreifen. In Zeiten des allgemeinen Energiesparens gönne ich mir in meiner Hauptstadtwohnung fast täglich ein Schaumbad und lese dabei „Blond“, das tolle Buch über Marilyn Monroe. Den Film zum Buch habe ich selbstverständlich nicht gesehen. Immerhin habe ich mal auf Youtube geschaut, ob der letzte, unvollendete Film mit Marilyn dort zu sehen ist – ist er. Wenn ich Zeit finde, schaue ich ihn mir an. Im Kino läuft er ja nicht.
Während ich also Schaumblasen durch die geheizte Luft puste und dabei „Something’s Got to Give“ von den Beastie Boys höre, beobachte ich die Wasserspinnen, die ihr Netz über mein Badewasser ziehen, jedenfalls über die schaumfreien Stellen, und denke darüber nach, dass Marilyn kurz vor der nächsten WM in vier Jahren 100 Jahre alt werden würde, hätte sie damals, 62, nicht alles auf Schlaftabletten gesetzt. Geboren 26, gestorben 62, auch ein Fall für Zahlenmystik.
Währenddessen läuft schon Lied 2 meiner extra aufgenommenen Badewannenhits-CD – und zwar passenderweise „Lullaby“ von The Cure. Das nicht nur Spinnen und Schlaflosigkeit behandelt, sondern wie nebenbei Kindesmissbrauch. Da kommt nämlich der Spiderman: „His arms are all around me and his tongue in my eyes / Be still be calm be quiet now my precious boy / Don’t struggle like that or I will only love you more“, so etwas Mehrdeutiges konnte man in den achtziger Jahren noch texten, kann man auch heute noch, macht aber niemand, das ist wie Bademantel tragen.
Mach ich auch nicht. Also, Bademantel tragen. Und ja, ich meine Bademantel und nicht Bischt, ich bin ja nicht Messi. Obwohl es zu meinem neuen cineastischen Leben passen würde, einen Bademantel zu tragen. So einen flauschig weißen mit Gürtel. Aber Bademantel ist toter als Kino, zumindest für mich, und wer einmal tot ist, ist das für immer.
Bademantel trug ich zuletzt in den Achtzigern, als das Samstagabendprogramm noch Spielshow und Erdnussflips hieß und nicht wie heute … äh … Spielshow und Erdnussflips. Danach war Bademantel lange so tot wie lange Unterhosen. Lange Unterhosen trägt man, bis die Pubertät einsetzt, und dann nie wieder, dachte ich bis Sonntag, als Freunde zum WM-Gucken in meine ominös große Großstadtwohnung kamen.
Da eröffneten sie mir, während wir auf Tigerfellen liegend bei aufgedrehter Heizung das Finale guckten, dass sie welche trugen. Also lange Unterhosen. Warum also nicht auch wieder Bademantel? Wie Marilyn. Die trug sie auch gern in Weiß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!