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Jahresend-Vorsätze2023 kann kommen – gern ohne König

Im Fußball klappt's nicht, am Warntag wird nicht gewarnt und die Monarchie klopft an die Tür: Da hilft nur durchatmen und gute Vorsätze fassen.

Mitte dieser Woche schien es kurz eng zu werden und die Rückkehr der Monarchie schon vor der Tür zu stehen Foto: Boris Roessler/dpa

M it den guten Vorsätzen kann man gar nicht früh genug anfangen. Da dies der letzte Rote Faden ist, den ich in diesem verdammten Scheißjahr knüpfen darf, fange ich hier schon mal an.

1. Reg dich nicht so auf!

Meine jüngste Mitbewohnerin hat sich neulich beim deutschen WM-Abschiedsspiel beschwert. Aber nicht über Hansi Flicks Versager, auch nicht über den blinden Videoschiri, der die Japaner weitergeschummelt hat, und erst recht nicht über die Fifa und die schlimmen Scheichs, die das ganze Spiel versauen, sondern über all die Alten, die dauernd nur gemeckert haben. Gemeint waren die Reporter im Fernsehen – und der fluchende Fan auf dem Sofa neben ihr. Ich schwöre, das wird nie wieder passieren! Denn die nächste WM in Amerika boykottiere ich bestimmt. Wegen Trump als Gastgeber, dann reicht’s, oder wegen der mexikanischen Kartelle, die da sicher auch mitmischen. Am Mittwoch und Donnerstag habe ich schon geübt. Und es hat geklappt. An den spielfreien Tagen hat man von mir kein böses Wort gehört.

2. Sei doch mal zufrieden!

Am Donnerstag um elf habe ich gewartet. Und gewartet. Nochmal auf die Uhr geschaut und dann aufs Handy. Doch da kam nichts. Nicht einmal ein Piepen. Dabei hatte die Regierung doch Gratis-Alarm für alle angekündigt. Aber, ach, der große Warntag war ein Riesenflop. Jedenfalls für mich. Kein Anruf unter meiner Nummer. Offenbar kennt der Staat mich gar nicht oder will mich absichtlich nicht warnen. Aber auch Sirenen gibt es nur noch in den wenigen verbliebenen humanistischen Gymnasien in ausgebleichten Heldensagen. Ja, nicht einmal den besten War­ne­r*in­nen der Nation gelang es an diesem offiziellen Feiertag des Warnens, sich wie gewohnt festzukleben und den Flugverkehr zu stören. Ich bekam schon wieder Puls, weil einfach gar nichts klappt in diesem Land, aber ich hatte ja spiel- und schimpffrei. Und begriff, dass man über jedes ungewarnte Smartphone froh sein sollte: Von Totalkontrolle wie in China sind wir offensichtlich und zum Glück noch weit entfernt. Allerdings scheinen wir auch nur sehr bedingt abwehrbereit zu sein.

3. Hab keine Angst!

Okay, jetzt wird’s ein bisschen schwierig. Wohlgemut und sorgenfrei in die mittelfristige Zukunft zu blicken, wird an diesem Jahreswechsel wohl kaum jemand schaffen. Auch wenn der Kanzler nach besten Kräften versucht, uns freundlich aufzumuntern. Das kann keiner besser als er. „Selbst wenn es ganz eng wird“, versicherte Olaf Scholz im Herbst, „kommen wir wahrscheinlich durch den Winter.“ Na, immerhin! Besser als „vielleicht“. Und bisher klappt’s ja. Gut, Mitte dieser Woche schien es kurz eng zu werden und die Rückkehr der Monarchie schon vor der Tür zu stehen. Aber wahrscheinlich werden die ReichsbürgerInnen (ja, es sind auch Frauen dabei, sogar im Bundestag) in diesem Winter doch noch nicht an die Macht kommen. Es ist mir zwar nicht ganz klar, was es bedeutet, wenn 3.000 Polizisten bei der größten Razzia der Nachkriegsgeschichte nur 25 rechtsextreme Putschaspiranten dingfest machen, mit einem Prinz im Alexander-Gauland-Kostüm als Rädelsführer an der Spitze. Ist das wirklich alles, was rechts zu finden war? Die Umsturzgefahr scheint zumindest nicht akut. Und die Innenministerin hat ja für alle Fälle immer genug One-Love-Binden.

4. Tu dein Bestes!

Schockstarre hilft auf keinen Fall, Selbstmitleid erst recht nicht. Ich nehme mir fest vor, 2023 nicht mehr zu lamentieren, nur weil die Heizung teurer wird oder die Bahn zu spät kommt. Was sind das für Probleme gegen die der Menschen in der Ukraine, im Iran. Wir sollten dankbar sein für unser Glück und das Beste daraus machen.

5. Denk an Bettina Gaus!

Was hatte diese Frau für eine Kraft, jeden Zeitgeist zu hinterfragen, eine intelligenter organisierte Welt zu suchen und mit Leidenschaft zu streiten, statt politische Gegner plump zu verachten. Am Montag wäre sie 66 geworden. Und in der taz kamen Leute zusammen, die oft vieles trennt, aber eines eint: Respekt. Und Erinnerung, die Mut macht.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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