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Ausstellungsempfehlung für BerlinUndisziplinierte Archive

Die Schau „Die Decke hat ein Loch“ im Kunstverein am Rosa–Luxemburg–Platz zeigt Forschungsprojekte zu Migration in der DDR und zu lesbischen Müttern.

Detektivin in Archiven: annette hollywood für „[anderkawer]1920er“ (Videostill) Foto: © annette hollywood/VG Bild-Kunst Bonn

Mit „Die Decke hat ein Loch“ kann der Kunstverein am Rosa–Luxemburg–Platz derzeit als Assembly der künstlerischen Forschung gelten. Für das Ausstellungsprojekt arbeiteten annette hollywood, Jana Müller und Moira Zoitl mit Susanne Prinz zusammen, die den Verein leitet. Neben eigenen Archivprojekten und Serien – annette hollywoods „[anderkawer]“, Müllers Falscher Hase“ und Zoitls „Eine Wohlverzogene“ und „Ver-Satz“ (www.moirazoitl.com) – zeigen die Künst­le­r:in­nen Forschungsprojekte von Alef Bla, Nombuso Dowelani, Laura Horelli, Sven Johne, Alina Simmelbauer, OfW Theater/Philipp Urrutia und Simon Wachsmuth.

Die hier gezeigten Recherchen, die die Ausstellungsräume des Kunstvereins bis zur Decke mit eindrücklichen Wandarbeiten, innenarchitektonischen Tweaks und sogar Mobiliar füllen, beschäftigen sich mit DDR-Geschichten, Geschichten der Migration nach Ost- und Westdeutschland und nicht zuletzt mit Eltern-Kind-Beziehungen in allen möglichen Rollen und Konstellationen.

Der Übergang von einem Projekt zum nächsten ist meist durch einen Posterstapel markiert, der einen Auszug aus dem jeweiligen Kontext zeigt. Das Mädchen zum Beispiel, das fast gänzlich hinter einem großen roten Ballon verschwindet, weist den Weg zu Alina Simmelbauers Projekt „Garcías Tochter“. Im Rahmen ihrer Recherche porträtiert die Fotografin Menschen, die wie sie Kinder von Ar­beits­mi­gran­t*in­nen sind, die nach Ablauf ihrer Verträge in der DDR, oft nach nur vier Jahren, wieder ausreisen mussten. Viele Väter wurden von ihren Kindern getrennt und ihre Kinder von ihnen.

Auch etlichen der Prot­ago­nis­t:in­nen in annette hollywoods fortlaufendem Projekt „[anderkawer]“ blieb der Kontakt zu ihren Kindern strukturell verwehrt. Bei Scheidungen heterosexueller Ehen wurde lesbischen Müttern bis in die 80er regelmäßig ihr Sorgerecht entzogen. In ihrer Installation, die ihre Recherche zu historischen Spuren queerer Familien und lesbischer Mütter einrahmt, beschwört hollywood eine Kanzlei herauf.

Ihre detektivische Suche nach Zeugnissen, die nach Abschluss des Projekts insgesamt 100 Jahre (1928-2028) abbilden werden, kam wohl einer Recherche an den Rändern der Archive gleich. Wobei sich der Prozess des Kratzens an der Oberfläche in ihren Filmen immer wieder spiegelt: sie lässt das Bild unscharf werden, gibt nur Teile der Dokumente und Briefe frei, die vor ihr liegen. Ein Porträtfoto wird kurz deutlich, dann gerät es wieder aus dem Fokus. Es hält sich bedeckt.

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