Fachliche Erkenntnisse bei der WM: Neues aus der Taktikanalyse
Die Technische Studiengruppe der Fifa sammelt Daten der WM. Zum Ende der Vorrunde hat sie nun erste Ergebnisse vorgestellt.
„Warum ist so ein Team ausgeschieden?“, wundert sich Arsène Wenger. Er meint die Deutschen. Die waren nämlich top, also bei den Torabschlüssen. Wenger ist Mitglied der TSG, der Technischen Studiengruppe des Weltverbandes Fifa. An der Seite der französischen Trainerlegende: Jürgen Klinsmann. Der Deutsche darf auch ein bisschen technisch observieren. 67 Torabschlüsse hatten die Deutschen in der Vorrunde, die Franzosen nur 52 und die Argentinier 44. „Das ist eine Frage der Effizienz“, findet Wenger, und Klinsi ist der Meinung, es habe an der fehlenden „9“ im deutschen Spiel gelegen. Die DFB-Truppe hätte keinen klassischen Stoßstürmer gehabt „vom Format eines Miroslav Klose“, sondern nur so „falsche 9er“, deswegen sei das nichts geworden. Klinsi, so ist zwischen den Zeilen zu lesen, hätte Niclas Füllkrug von Anfang an aufgestellt.
Die TSG hat viele Zahlen mitgebracht. Und was sich insgesamt sagen lässt: Weil das Zentrum durch intensive Defensivbemühungen zugestellt ist wie die Wohnung eines Messie mit Krimskrams, müssen die Angriffe eben mehr über außen laufen. „Gute Flügelspieler entscheiden wahrscheinlich diese WM“, mutmaßt Wenger. 58 Prozent der Angriffe wurden über die Außenbahnen initiiert.
So ist es im Vergleich zur WM in Russland zu einem Plus von 83 Prozent gekommen bei Toren, die aus dem offenen Spiel heraus erzielt worden sind. Der Gesamtschnitt der erzielten Tore ist derweil nicht besonders auffällig: 2,5 (2022) gegenüber 2,54 (2018). In Halbzeit eins, sagt Wenger, hätten sich die Teams „taktisch eher blockiert“, das Spiel in den zweiten 45 Minuten sei „wilder“, was vielleicht als Konsumhinweis an Fans gedacht ist: Sie könnten erst in Halbzeit zwo einschalten, ist spannender.
Bei dieser WM gibt es deutlich weniger Torabschlüsse pro Partie (10,9) im Vergleich zu den Vorgängerturnieren (12; 12,9 und 14,1), es fallen viel weniger Tore in der Nachspielzeit, obwohl die ja nun deutlich länger ausfällt. Am meisten gelaufen sind die Amis mit 123 Kilometer pro Partie. Die Deutschen (117 Kilometer) rannten auch gut, aber am cleversten waren hier mal wieder die Argentinier, die mit 105 Kilometern den vermeintlich schlechtesten Wert aufweisen, dafür aber gerne und oft Zweikämpfe annehmen und auch schnell den Ball zurückerobern. Da sind die Brasilianer auch stark. Die südamerikanischen Teams, die im Achtelfinale stehen, brauchten 14,9 Sekunden im Schnitt, um den Ball zurückzuerobern, die europäischen Teams 18,1.
Wichtiger sind die Torhüter geworden. 726 Pässe nahmen sie in der Vorrunde entgegen, in Russland waren es nur 443. „Sie werden immer wichtiger als Mitspieler im Verbund“, sagt Klinsmann. Außerdem: „Mannschaften, die eher defensiv gestanden und auf Konter gesetzt haben, waren oft effizienter.“ Klinsmann geht ab von der Bühne. Zurück ins Fußballstudierstübchen.
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