: Sie verstanden sich als KommunistInnen
Die Vergangenheit der Deutschen Demoraktischen Republik wurde im Theaterdiscounter von einem Theaterkollektiv aus Frankfurt untersucht. Drei Schauspielerinnen erzählen von der legendären Familie Wolf
Von Katja Kollmann
In den Theaterdiscounter zu gehen heißt, eine Zeitreise zu machen. Das ehemalige Verwaltungsgebäude an der Klosterstraße atmet architektonisch den Geist der späten DDR. Zu sehen am massiven, sperrigen Treppengeländer, den marmorierten Stufen und vor allem an den großen Fensterquadraten, die sich im Saal aneinanderreihen.
In diesem Ambiente brachte das Frankfurter Theaterkollektiv „Eleganz aus Reflex“ vergangene Woche „Wir liebten nicht alle – die Geschichte der Jahrhundertfamilie Wolf“ zur Premiere. (Im Januar und Februar 2023 werden sie in Frankfurt spielen.) Eine Familienaufstellung pünktlich zu Markus Wolfs 100. Geburtstag. Das Publikum wird von Anfang an hineingeworfen in die Intimität dieser Familie. Man kommt sich aber nie wie ein Voyeur vor, denn Regisseurin Carolin Millner setzt konsequent auf eine Darstellung, die sich nicht in die Figuren einfühlt. Außerdem rotieren die Schauspielerinnen Lisa Heinrici, Katharina Merschel und Mariann Yar im Spiel. Es findet eine Art fliegender Wechsel bei der Darstellung der verschiedenen weiblichen und männlichen Familienmitglieder statt. Dadurch bekommt die knapp zweistündige Inszenierung Dynamik, ist aber gleichzeitig sehr fokussiert, weil sie konsequent auf Text und Schauspielkunst setzt.
Das funktioniert, weil Millner die Schauspielerinnen durch wenige Gesten intime Räume schaffen lässt – im produktiven Gegensatz zum Bühnenbild, das mit dem (fast) einzigen Gestaltungselement Raumteiler bewusst darauf verzichtet. Und das funktioniert vor allem wegen Caroline Millners Bühnentext. Der beleuchtet kurz und intensiv ganz konkrete Lebenssituationen und lässt dann die einzelnen Wolfs zu Wort kommen.
Am Anfang steht ein amüsanter Kennenlerndialog zwischen Friedrich und Else Wolf 1921, in dem beide wie mit einem Kohlestift in ihren Konturen skizziert werden. Dann – Galopp – ins Jahr 1929. Sohn Markus ist schon geboren, Friedrich Wolf Armenarzt bei Stuttgart und als Verfasser des Stücks „Cyankali“, das sich gegen Paragraf 218 wendet, deutschlandweit bekannt. Die nächste Station ist das sowjetische Exil während der stalinistischen Säuberungen. Sohn Konrad wird geboren, später sind beide Söhne auf der Kominternschule. Markus ist 1946 Berichterstatter bei den Nürnberger Prozessen. In der DDR wird er Chef der bis heute geheimnisumwitterten Hauptverwaltung Aufklärung des MfS.
Konrad Wolf wird einer der bekanntesten Regisseure der DDR, Präsident der Akademie der Künste und stirbt 1982. Millner erklärt nicht, sie beurteilt nicht, sie wirft klug ihre Schlaglichter aus und lässt vor allem die beiden Frauen zu Wort kommen, die das Rückgrat dieser Familie bilden über Jahrzehnte hinweg: Else Wolf, Friedrichs Frau, die sogar seine Tochter aus einer anderen Beziehung zu sich nimmt, als deren Mutter in die Mühlen des Stalinismus gerät, und Emmi Wolf, Markus' langjährige erste Frau, die er noch 1944 in der UdSSR geheiratet hat.
Durch diese weiblichen Stimmen gelingt das intime Porträt einer Familie, in der sich alle als KommunistInnen verstanden haben und in der die Männer, besonders Markus Wolf, über Macht und Gestaltungsspielraum verfügten.
Gerade Markus Wolf wirkt hier nahbar. Die Aufdeckung seines Topspions Günther Guillaume in den siebziger Jahren in der BRD kommentiert „er“ auf der Bühne kopfschüttelnd: „Wie blöd kann man sein und auch noch sagen: ‚Ich bin Bürger der DDR.‘“ Markus Wolfs Auftritt am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz beleuchtet Millner in der Bühnenhandlung nicht. Aber mit dem Titel „Wir liebten nicht alle“ nimmt sie Bezug auf die legendäre Äußerung von Erich Mielke vom 17.11.1989 in der Volkskammer: „Ich liebe doch alle Menschen.“ Millner hat Erfahrung mit dieser Thematik, hat sie sich doch schon am Main in der Pentalogie „Rot oder Tot“ mit der Verfasstheit der DDR beschäftigt.
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