debatte: Standards für Baumwolle
Mit „Cotton Made in Africa“ sollen die Bauern in Subsahara-Afrika gestärkt werden. Fortschritte gibt es – der Pestizid-Einsatz ist aber noch ein Problem
Roger Peltzer ist Diplomvolkswirt. Er hat mehrere Jahre als Mitarbeiter der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), einer Tochter der staatlichen KfW-Bank, an der Entwicklung des CMIA-Standards mitgearbeitet. Heute ist er Vorstandsmitglied der NGO „Christliche Initiative Romero“.
Im Jahre 2005 lud der Referatsleiter für Landwirtschaft im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Christoph Kohlmeyer, Vertreter des Otto-Konzerns, der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zu sich nach Bonn ins Ministerium ein. Thema war, wie man die afrikanischen Baumwollbauern unterstützen kann, damit sie im unfairen Wettbewerb mit den durch massive Subventionen unterstützten Großgrundbesitzern in den USA bestehen können.
Das Ergebnis war, dass man in einer gemeinsamen Kraftanstrengung die Marke „Cotton Made in Africa“ (CMIA) im Markt etablieren wollte. Das Konzept war einfach: Der textile Einzelhandel sollte gegen eine Lizenzgebühr das Recht erwerben, CMIA-Baumwoll-Textilien zu verkaufen. Die Baumwollproduzenten – Baumwollgesellschaften und Kleinbauern aus Afrika – sollten auf der anderen Seite sicherstellen, dass in der Produktion dieser CMIA-Baumwolle ökologische und soziale Mindeststandards eingehalten werden. Gleichzeitig erklärten sich zunächst das Entwicklungshilfeministerium und später die Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung für eine Anschubfinanzierung bereit, um die Mindeststandards in der Breite zu ermöglichen.
So wurde sichergestellt, dass bestimmte giftige Pestizide nicht mehr verwendet werden, dass Kinder von Baumwollbauern verstärkt die Schule besuchen und in den Baumwoll-Entkörnungsanlagen internationale Arbeitsnormen eingehalten werden. Insbesondere aber wurden mit den Baumwollgesellschaften – diese kaufen von den Bauern die Saatbaumwolle auf und stellen im Gegenzug Saatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmittel zur Verfügung – Ausbildungsprogramme aufgelegt. Dort werden die Bauern systematisch in Techniken unterwiesen, die die Bodenfruchtbarkeit steigern, den Einsatz von Pestiziden verringern und die Qualität der geernteten Baumwolle steigern.
Die Gates-Stiftung, das Ministerium und andere haben dafür insgesamt 57 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Heute sind eine Million BäuerInnen in elf afrikanischen Ländern nach CMIA-Standards zertifiziert. Mit Familienangehörigen ergibt das rund 8 bis 10 Mio Menschen, die von CMIA profitieren. Diese BäuerInnen produzieren 690.000 Tonnen Saatbaumwolle, was 40 Prozent der gesamten Baumwollproduktion Subsahara-Afrikas ausmacht.
Andererseits galt es, den textilen Einzelhandel in Europa und Nordamerika von der Marke CMIA zu überzeugen. Das war zunächst ausgesprochen schwierig. Es dauerte fast 15 Jahre, bis sich das CMIA-Konzept im deutschen Massenmarkt durchgesetzt hat. Heute handeln nicht nur Otto, Tchibo und Rewe mit CMIA, sondern auch Lidl, Aldi und Kaufland. Im Jahr 2022 wird CMIA rund eine Milliarde Textilien umgesetzt haben. Und die „Aid By Trade“-Stiftung, die die Marke CMIA verwaltet, konnte 2021 Lizenzeinnahmen von 4,5 Millionen Euro erzielen. Diese Lizenzeinnahmen werden für die Zertifizierung des Standards und für Projekte mit Kleinbauern in Afrika eingesetzt. Wenn man diese Lizenzeinnahmen auf den ursprünglichen Einsatz von 57 Millionen Euro bezieht, ergibt das eine Verzinsung von 8 Prozent.
Befördert worden ist der Durchbruch von CMIA durch das Lieferkettengesetz, das Textilbündnis des Entwicklungshilfeministeriums und die verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit für nachhaltige Produkte. Wichtig ist jetzt, dass die CMIA-Akteure nicht stehen bleiben. Ökologische und soziale Mindeststandards sind ein wichtiger Schritt vorwärts, sichern aber vielen Baumwollbauern noch kein Einkommen über der Armutsgrenze. Es kommt jetzt darauf an, dass das System CMIA so viele Lizenzgebühren erzielt, dass auf Dauer ein solches Einkommen sichergestellt werden kann. Dabei geht es unter anderem um verbessertes Saatgut, die Förderung von Frauenkooperativen der Baumwollbäuerinnen und eine bessere betriebswirtschaftliche Ausbildung der Farmer.
In allen diesen Bereichen ist CMIA schon aktiv – es handelt sich aber bisher eher um Tropfen auf den heißen Stein. Statt 2 Millionen Euro jährlich wie zurzeit müsste CMIA jährlich das Zehnfache investieren, um nachhaltig Wirkung zu erzielen. Das sollte auch erreichbar sein, zahlen die textilen Einzelhändler doch bisher pro Kleidungsstück eine Lizenzgebühr von gerade einmal 0,4 Cent. Wenn man diesen Betrag auf 2 Cent pro Kleidungsstück verfünffachen würde, könnte mehr bei den Bauern investiert werden.
Eine große Herausforderung stellt daneben der Pestizideinsatz in der Baumwolle dar. Weltweit werden circa 2,4 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen mit Baumwolle angebaut – diese verbrauchen aber 16 Prozent der in der Landwirtschaft eingesetzten Insektizide. CMIA bildet die Bauern deshalb im Tragen von Schutzkleidung und der Anwendungen von Techniken aus, mit denen der Pestizideinsatz verringert werden kann. Leider folgen viele BäuerInnen diesen Ratschlägen nicht. In der Hitze ist die Schutzkleidung lästig, das wiederholte Zählen von Schädlingen und Nützlingen aufwendig, sodass man im Zweifelsfall lieber einmal zu oft als einmal zu wenig spritzt. Auch deswegen leiden heute noch viele CMIA-BäuerInnen unter Kopfschmerzen und Hautausschlag.
Hier bedarf es einer grundsätzlichen Änderung der Strategie der Schädlingsbekämpfung. CMIA sollte von chemischen auf biologische Pestizide und Insektizide, die aus lokal vorhandenen Pflanzen gewonnen werden, umstellen. Dass es so möglich ist, gänzlich auf den Einsatz chemischer Pestizide/Insektizide zu verzichten, wurde von CMIA-Partnern in Tansania und Sambia eindrucksvoll bewiesen. Allerdings kommt 80 Prozent der CMIA-Baumwolle aus West- und Zentralafrika mit einer sehr pestizidintensiven Baumwoll-Landwirtschaft. Die biologische Schädlingsbekämpfung auch in Westafrika einzuführen ist die zentrale Herausforderung, vor der CMIA seht.
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