schlechtes vorbild: Wie Spenden für Geflüchtete einfach spurlos in der Insolvenzmasse verpuffen
Gutes/Schlechtes Vorbild
Was woanders richtig gut läuft oder gerade auch nicht, findet auf jeden Fall hier seinen Platz.
Gut, bei ganz genauem Hinsehen hätte man als Spender:in wissen können, dass auch bei einer großen Hilfsorganisation wie dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) nicht immer alles ordnungsgemäß abläuft. So sorgte im vergangenen Jahr etwa das vom DRK-Kreisverband Friesland betriebene Impfzentrum in Schortens für einen heftigen Skandal, weil Kochsalz verimpft, Arbeitszeit falsch abgerechnet und Lohn einbehalten wurde.
Die Menschen, die in den vergangenen Monaten Überweisungen für Ukraine-Flüchtlinge auf ein Sonderkonto des DRK-Kreisverbandes Goslar tätigten, konnten aber darauf vertrauen, dass ihre Spenden auch bei „den Richtigen“ ankommen würden. Beim „großen“ Roten Kreuz, dem Spitzenverband der Wohlfahrtspflege, würde das Geld nicht einfach verschwinden. Doch genau das droht nun zumindest für den größten Teil der Summe.
Mehr als 370.000 Euro kamen bei der vom DRK und der Goslarschen Zeitung gestarteten Kampagne zusammen. Allerdings vergab eine eigens eingesetzte Kommission bislang nur rund 65.000 Euro davon an Projekte und Initiativen in der Region: an den Verein „Goslar hilft der Ukraine“ etwa, die Initiative „Bürger helfen Bürgern“ in Clausthal-Zellerfeld, die Tafeln in mehreren Orten sowie eine Gruppe, die einen Mutter-Kind-Spielkreis für deutsche und ukrainische Familien aufbaut. Viele andere Initiativen stellten Förderanträge, die aber noch nicht beschieden wurden.
Dass neun Monate nach dem Eintreffen der ersten Flüchtlinge, noch 80 Prozent der Spendengelder ungenutzt auf einem Bankkonto liegen, kann vielleicht noch mit bürokratischem Aufwand und organisatorischer Unerfahrenheit der Initiatoren vor Ort erklärt werden. Nicht zu verstehen – und schon gar nicht zu entschuldigen – ist indes, dass besagtes Spendenkonto nicht gegen finanzielle Turbulenzen abgesichert worden ist. Und in solche war der DRK-Kreisverband im Sommer geschlittert. Ausgangspunkt war eine Insolvenz bei der DRK-Tochterfirma „Pflege und Service GmbH“. Diese betreibt ein Seniorenheim und Sozialstationen mit Tagespflege. In der Folge rutschte der gesamte Kreisverband in die Krise, das Insolvenzverfahren gegen ihn wurde Anfang September eröffnet und ein Braunschweiger Anwalt als Insolvenzverwalter einbestellt.
Nach dessen rechtlicher Bewertung kann das verbliebene Spendengeld nicht für die Ukraine-Hilfe genutzt werden, weil das Konto insolvenzrechtlich dem DRK-Kreisverband zuzuordnen ist. Es handele sich bei den 306.000 Euro nicht um das Vermögen Dritter und müsse deshalb der Insolvenzmasse zugeschlagen werden. Statt den Ukraine-Initiativen bekommen demnach die Gläubiger das Geld – und zum Teil auch der Insolvenzverwalter als Honorar.
Nicht nur Unterstützer der Flüchtlinge sind fassungslos über die Versäumnisse des DRK. „Wir hätten gern hier vor Ort noch viele Dinge für unsere ukrainischen Familien bewegen wollen, hatten dafür auch um Geld aus dem Spendentopf gebeten“, schreibt ein Leser der Goslarschen Zeitung. „Nun ist das Geld wahrscheinlich aus rechtlichen Gründen verloren.“ Zwar wollen sich Zeitung und Vergabekommission mit der Rechtsauffassung des Insolvenzverwalters nicht abfinden und alles daransetzen, dass die Spendengelder doch noch für Hilfsprojekte freigegeben werden. Dass das gelingt, ist aber mehr als fraglich. Reimar Paul
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