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In der Fremde

Rückkehr und Einwanderung, Freundschaft und Liebe: Das diesjährige 11. Jewish Film Festival im Kino Arsenal widmet sich dem Thema „Heimat, Heimweh, Hejmisch sein“. Das mag kitschig klingen, entspricht aber der Realität vieler jüdischer Biografien

VON JAN-HENDRIK-WULF

Wirklich dumm, wenn man Rafi Abdallah heißt, einen Block tiefgefrorener Suppe aus dem Fenster fallen lässt und damit versehentlich seinen zukünftigen Schwiegervater erschlägt. Jedenfalls dann, wenn man eine jüdische Freundin hat und sich gerade zum Antrittsbesuch bei deren Familie in Madrid aufhält. Von nun an ist Rafi nur noch damit beschäftigt, den Unglücksfall zu vertuschen. Dabei stehen seine Karten stehen ohnehin nicht gut. Zwar ist der gebürtige Palästinenser in Barcelona als Literaturdozent tätig, doch „nur sein Pass ist israelisch“, wie die Schwiegermutter Gloria nörgelt, die ihrer Tochter dringend von dieser interkulturellen „Romeo-und-Julia-Beziehung“ abraten will.

Konsequent wird in dem Spielfilm „Seres Queridos“ („Only Human“, Spanien/Argentinien/GB, 2004) jeder Versuch, die historischen, politischen und religiösen Gräben zu umschiffen, in die Katastrophe geführt. Doch zum Glück ist in dieser überdrehten jüdischen Familie jeder vollauf mit sich und seinen eigenen Problemen beschäftigt. „Eher kriegt Israel Frieden als ich einen Orgasmus mit Papa“, klagt die ständig überlastete Mutter Gloria. Auch mit Religion hat man eigentlich nicht viel am Hut. Nur der gerade von Pubertät erfasste Bruder David ist zum orthodoxen Judentum übergetreten. Vor Schabat verklebt er die Lichtschalter, portioniert vorsorglich das Klopapier und terrorisiert damit vor allem seine ältere Schwester. „Was sagt der Rabbi denn zum Wichsen?“, giftet sie ihn an. Seine Mutter nimmt den religiösen Spleen gelassen und findet es „besser, als wenn er Drogen nähme“. Das sind schlechte Voraussetzungen für Grundsatzdiskussionen, nicht aber für den schließlich doch glücklichen Ausgang der Geschichte.

Bis zum 30. Juni werden im Rahmen des 11. Jewish Film Festival Berlin im Arsenal-Kino 22 Filme aus zehn Ländern gezeigt. Dabei können auch so makabre, humorvolle und widersprüchliche Aspekte des jüdischen Lebens vorgestellt werden, die im deutschen Kontext selten wahrgenommen werden. Zwar hat die Jüdische Gemeinde ihrem wichtigen kulturellen Aushängeschild in diesem Jahr das Geld gestrichen, doch das „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ hat die Finanzierung übernommen. Vielleicht klingt das diesjährige Motto „Heimat, Heimweh, Hejmisch sein“ etwas sentimental. Doch spielen sich bis heute eben wirklich viele jüdische Leben zwischen verschiedenen Sprachen und kulturellen Hintergründen ab.

Yaron Zilbermans Dokumentation „Watermarks“ (Israel/USA 2004) erzählt die Geschichte des jüdischen Sportvereins „Hakoah Wien“, der für seine Schwimmrekorde bekannt wurde. 65 Jahre später hat der Regisseur sieben der in aller Welt verstreut lebenden Sportlerinnen zu einem gemeinsamen Bad in ihrer alten Wiener Schwimmhalle überredet. Die Rückkehr nach Österreich ist für sie eine irritierende Erfahrung – vor allem wenn der Taxifahrer von den Juden als „Fremden“ spricht oder ein Chansonnier am Wiedersehenabend neben Schlagern aus den Dreißigerjahren auch den Buchenwald-Marsch anstimmt. Auch mit einem Land wie Norwegen verbindet sich ambivalentes jüdisches Heimatgefühl. Jon Haukelands und Tore Vollans Dokumentarfilm „Mannen som elsket Haugesund“ (The Man Who Loved Haugesund, Norwegen 2003) rekonstruiert die Lebensgeschichte des polnischen Händlers Moritz Rabinovitch, der 1911 mit der Fähre in dem südnorwegischen Ort Haugesund eintraf und dort ein Konfektionsgeschäft eröffnete. Innerhalb von 30 Jahren stieg er zum norwegischen Kleiderkönig auf. Doch die nordische Erfolgsgeschichte bekam früh Risse. Rabinovitchs Frau Johanna verließ Haugesund, weil die bessere Gesellschaft den Kleiderkönig schnitt.

Schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg warnte Rabinovitch in norwegischen Zeitungen vor Nazideutschland. Als die Deutschen kamen, wurde er nach kurzer Flucht von der Gestapo verhaftet und später in einem KZ umgebracht. Seine Firma hatte er den Mitarbeitern übertragen. Für das Heimatgefühl lässt der Dokumentarfilm einen alten Haugesunder sprechen: „Ein Jude ist dafür bekannt, gierig zu sein. Aber für Haugesund war er ein guter Mann.“

Fast die Hälfte des Festivalprogramms wird in diesem Jahr von israelischen Dokumentar- und Spielfilmen bestritten. Und auch dort ist nicht immer Heimat. Avi Neshers Spielfilm „Sof ha-Olam Smola“ (Turn Left at the End of the World, Israel 2004) erzählt aus der Sicht der Teenagerin Sara, wie das Leben für eine indische Einwandererfamilie im Gelobten Land ganz unten beginnt: In einem Kaff in der Negev-Wüste, mit einer alten Glasfabrik als einzigem Arbeitgeber. Schon seit Jahren sitzen hier mehrere Einwandererfamilien aus Marokko fest. Und gerade bei denen, die sich von der israelischen Gesellschaft vergessen fühlen, zeigt sich eine ausgeprägte soziale Hackordnung.

In einem vielsprachigen Gemisch versichert man sich der kulturellen Überlegenheit der jeweils eigenen Herkunft und rauft sich erst allmählich in tragikomischer Hoffnungslosigkeit zusammen. Das einzige Glücksversprechen: Sex oder der Einberufungsbescheid zur Armee. Doch Sara lernt Nicole kennen, die aus Marokko eingewandert ist. Ob Israel den beiden als Land eine gute Heimat wird, lässt der Film aber offen. Nur Freundschaften können Heimatgefühl erzeugen.

Programm unter www.jffb.de

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