kritisch gesehen: Ein einäugiges Unwesen und gebrochene Heldenerzählungen
Verschroben ist sicher ein Adjektiv, das auf die nun fertige Produktion zutreffen wird. Das war schon bei früheren Arbeiten des Schotten Mamoru Iriguchi so. Am Freitag feiert in der Bremer Schwankhalle seine Performance „What You See When Your Eyes Are Closed / What You Don’t See When Your Eyes Are Open“ Weltpremiere. Und schon Mitte September, also zwei Monate vor der Uraufführung, hatte er sein neuestes Werk in einem skizzenhaften Zustand präsentiert: In ein orangenes Fluderfransenkostüm gehüllt, einen Riesenpappkopf mit Zyklopenauge und integriertem Projektor aufgesetzt, duellierte er sich als tapsiges Monster Cyclops mit Gavin Pringle.
Der war in die Rolle des Reporters Mamoru geschlüpft, trug Trainingsanzug und hatte auch einen Pappkopf aufgesetzt, der kaum weniger umfangreich war als der des einäugigen Unwesens. Auf dem klebte vorn und hinten ein Foto des Gesichts von Iriguchi, einmal mit geschlossenen, einmal mit offenen Augen.
Kostüm und Setting sind unverändert geblieben. Und ebenso stand schon damals fest, dass die fertige Performance auch für Menschen mit Sehbeeinträchtigung so zugänglich sein sollte wie möglich. Und auch nicht mehr umgeworfen worden ist ihr zwar auf charmante Weise sperriger, aber streng genommen eben doch recht larifariprogrammatische Titel. Es ist möglich, aber nicht sinnvoll, auf die Audiodeskription zu verzichten: Sie ist selbst Teil des Werks. Die verbale Verdopplung der kruden Szenerie macht einen Großteil des eigentümlichen Reizes der Aufführung aus. Auch gibt es szenen-musikalische Effekte, die nur über Kopfhörer eingespielt werden. Über die etwas abgedroschenen filmografischen Assoziationen hinaus, die sie wecken, lassen sie erkennen, wie weit die aus klamaukig gebrochenen Helden-, Superhelden- und Doppelgängererzählungen modellierten Szenen durchchoreografiert sind.
In ihrer unfertigen Form hatte die Performance wenig zupackend, ja unentschlossen gewirkt: eine Suche, vielleicht, die durch eine Reihe erfundener oder erträumter oder eralbträumter Identitäten hindurch einen ständigen Wechsel der Perspektive nicht nur vollzieht, sondern auch dem Publikum abverlangt (zumindest sollte das aufgefordert werden, sich im Zweifel einen besseren Platz zu schnappen, mitten im Stück). Bloß, dass nie klar wurde, worauf der Fokus liegt, was gesucht wurde, und was die Suche sollte. Geblieben ist insofern der Eindruck einer angenehm amüsanten, ja lustigen und absolut familientauglichen Show, die das Risiko nicht scheut, belanglos zu bleiben. Benno Schirrmeister
Aufführungen: 11. und 12. 11., jeweils 20 Uhr, sowie 13. 11., 16 Uhr, Schwankhalle, Bremen
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