Lyrik-Performance in Hannover: Krasse Sprachbilder in Watte
Yahya Hassan war die wütend-poetische Stimme des dänischen Ghettos. Seinen ersten Gedichtband hat Murat Dikenci in Hannover auf die Bühne gebracht.
Also doch nur Patschuli und keine Pisse in der Cumberlandschen Galerie. Dabei wäre Pisse der richtige Geruch gewesen. Denn die ist im ersten Buch des dänischen Dichters Yahya Hassan das vorherrschende Parfum.
Schon aus dem zweiten Vers schlägt ja das Ammoniak-Aroma von „EN PØL AF PIS“ entgegen, einer Urin-Pfütze also, Zeichen der Angst vor dem Prügelvater. In einem Gedicht wird aufs eigene Grab gepinkelt, und im letzten, dem berühmtesten, pisst das lyrische Ich „FAST IN DIE HOSE VOR WONNE“ und, möglicherweise aus demselben Grund, im parallelgeschalteten Folgevers „AUF ALLAH UND ALL SEINE GESANDTEN“.
Seine unbändige Härte, seine Häresie auch, hatten den Band „Yahya Hassan“ 2013 und im Jahr darauf in allen Sprachen, in die er übertragen wurde, zu einer literarischen Sensation gemacht. Der Autor, staatenloses Kind palästinensischer Flüchtlinge in Dänemark, schreit darin, so will es die Überlieferung, die Schrecken der Kindheit im Ghetto Aarhus Frydenlund, schreit auch intensivste Bruderliebe sowie unbändigen Hass auf die Eltern solange mit Feststelltaste in die Welt, bis daraus Schönheit wird.
Und er spart auch nicht mit dem Hass auf „DAS LAND DAS EURES WAR / UND DAS LAND DAS UNSERES WURDE / DAS LAND DAS NIE EURES WIRD / UND DAS LAND DAS NIE UNSERES WIRD“. Zwei Jahre nach Hassans Tod – er war gerade mal 24, über die Ursache wird seit Auffinden der Leiche herumgedruckst – ist nun erstmals überhaupt eine Bühnen-Adaption zu erleben, auf der Off-Bühne des Staatsschauspiels Hannover eben.
Pokémonkarten und Matratzen
Das ist ein besonderes Wagnis bei Lyrik, die doch, wie narrativ sie auch sein mag, stets auch der linearen Ordnung von Erzählung und Argumentation trotzt. Regisseur und Universen-Intendant Murat Dikenci hat eine Art Assemblage zusammengestellt aus Texten, aus Videos, und aus Requisiten, an verschiedenen Punkten des Raums gruppiert und von den Gedichten in Szene gesetzt: Pokémonkarten, weiße Plastikstühle, „DIE MATRATZE NACH UNTEN GEBEULT“.
Schon am Eingang sind, wie beim Moscheebesuch, die Schuhe gegen Gästelatschen einzutauschen: Die Performance will das Publikum kopfüber eintauchen in die Welt dieses Gedichtbandes. Sehr schön wirbeln der Tänzer Bi Vro Alain Serge Irie und der Performer Edi Kastrati als rangelndes Brüderpaar durch die Zuschauer*innen, die im schwarzen Raum stehen, nehmen sie zwischen knallend ausgeschlagenen Bettlaken gefangen. Räucherstäbchen duften. Und das ist ja, was Lyrik tun muss: immersiv werden, die Menschen einspinnen, sie in das Ich des Textes verwandeln.
Aber vor den unangenehmen Erfahrungen, vor dem Schmerz, dem Ekel, dem Gestank die das bei dieser Poesie bedeuten müsste, schreckt Dikinci dann doch merkwürdig zurück. Klar, man ist nicht undankbar dafür.
An vielen Stellen scheint ein bisschen Watte drumzupacken sinnvoll, weil damit Diskursreflexe – hat er etwa mit abfälligem Unterton „Zionist“ gesagt? – vermieden werden, die an der Dichtung Hassans vorbeigehen würden. Auch verdecken die Schocks, mit denen sie arbeitet, allzu leicht ihre Befähigung zur Zärtlichkeit. Es bleibt aber doch unbefriedigend: weil sie ihre Schönheit und ihre Bedeutung bezieht aus dem Nebeneinander und der absoluten Gleichwertigkeit dieser milden Momente und jener schneidenden Schärfe.
Deren Kontrast hatte Hassan zu Lebzeiten nicht nur typologisch durch die konsequente Großschreibung verdeckt, sondern auch performativ durch einen sehr speziellen, litaneiartigen Rezitierstil, der die Behauptung, hier würde geschrieen, konterkariert: Schwer erträglich monoton, aber gerade dadurch faszinierend, wirkt er wie das genau kalkulierte Gegenteil der handelsüblichen Emphase von Spoken Words Poetry.
Deren Urheber*innen merkt man immer an, dass sie sich freuen wie Bolle, wenn sie mal eine unkonventionelle Metapher gefunden haben. Hassan, ganz im Gegenteil, prägt seine krassen Sprachbilder ganz beiläufig, diskret, irgendwo in den Schmutzwinkeln noch seiner skatologischsten Verse. Auch beim skeptischen Wiederlesen erweist sich das als großartige Literatur. Dringend erwünscht wäre eine deutsche Übersetzung des nicht minder genialen Bandes „Yahya Hassan 2“, absolut notwendig zudem eine Neuauflage des längst vergriffenen Erstlings.
Nichts dergleichen ist geplant. Ullstein hat sogar den lange vergriffenen Debüt-Band aus der Preisbindung genommen, heißt: Der wird auch nicht mehr nachgedruckt. Die Gründe bleiben ungenannt. Die Rechte am Nachlass liegen bei den Eltern; angeblich misstrauen sie Deutschland, weil sie es für viel zu judenfreundlich halten. Und es mag auch sein, dass sie sich nicht unbedingt gut getroffen fühlen, in den Porträts, die die Gedichte ihres misshandelten Sohns von ihnen entwerfen. Dürfen sie ihn zum Schweigen bringen?
Auch Dikenci hatte sich lange um die Aufführungserlaubnis mühen müssen. Für die Performance hat er nun den „4 Blocks“-Star Hassan Akouch zehn Gedichte einlesen lassen, plus eine ärgerlich verstümmelte Schrumpfform des furiosen Langgedichts, mit dem „Yahya Hassan“ endet.
Ein Boxsack in Spitze
Mit ihnen hat er einen chronologischen Parcours durchs Leben eines lyrischen Ichs gebildet, das zu dessen Ärger hartnäckig mit dem realen des Autors gleichgesetzt worden ist. Der Lyrik nun nur als Stimme aus dem Off Präsenz zu verleihen, ist kein schlechter Ansatz: Es verstört blöde identifikatorische Lesarten.
Immer wenn nun die Tonbandrezitation allein bleibt mit an die linke und rechte Wand projizierten Videos, kippt die Inszenierung jedoch ins Peinlich-Seichte: David Uzochukwus Aufnahmen düsterer ruraler Szenen wirken wie verfilmte Stock-Fotos zum Themenfeld „besinnlich“.
Sie stellen keinen Kontakt zu dieser Dichtung aus der urbanen Verwerfungszone her, eher begraben sie den Text unter Schwulst. Ihn zu feiern, ihm unerschlossene Dimensionen abzugewinnen: Das gelingt hingegen, wo Akouch die Lyrik nicht bloß artig vorliest – und Bi Vro Alain Serge Irie und Edi Kastrati sie in einleuchtende szenische Aktionen übersetzen, die nicht behaupten, irgendetwas zu illustrieren.
Staatstheater Hannover, Universen in der Cumberlandschen Galerie: „Yahya Hassan“, Performance in der Regie von Murat Dikenci, Szenografie Florence Schreiber, mit Bi Vro Alain Serge Irie, Edi Kastrati, ua. Dauer knapp eine Stunde.
Aufführungen: Fr. 4. und Sa. 5. 11., jeweils um 19 und um 20 Uhr.
Zum berührenden Höhepunkt des Abends werden so die dunkel-paradoxalen Verse „VATER MEIN UNGEBORENER SOHN“: Während der Rezitator sie auf ihre innere Musik befragt, durch Wiederholungen, Stimmverdopplungen, Segmentierungen ihre Rhythmik analysiert und so den surrealen Visionen dieses knappen Fünfzeilers Raum gibt und Nachhall, wiegen sich die zwei Performer in einer Umarmung über einen von Kostümbildnerin Marilena Büld in schwarze Kunstfaser-Spitze gehüllten Boxsack hinweg: ein simples Bild, so brutal wie zärtlich. Ein Bild, in dem es keinen Grenze gibt zwischen Gewalt und wahrer Liebe.
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