: Die Schwester sperrt man dann weg
TÄTER UND OPFER In ihrem Dokumentarfilm „Ehre“ nähert sich die Regisseurin Aysun Bademsoy einem heiklen Begriff an
Endlich wieder ein Film von Aysun Bademsoy. Die Berliner Dokumentarfilmerin kartiert seit über 20 Jahren in ihren Arbeiten Aspekte der Migration nach Deutschland. Drei Filme (1995, 1997 und 2008) sind, mittlerweile als Langzeitbeobachtung, über deutschtürkische Fußballerinnen aus Kreuzberg entstanden. „Deutsche Polizisten“ (1999) durchforschte den Arbeitsalltag von fünf Beamten mit jugoslawischem beziehungsweise türkischem Hintergrund.
Adoleszente Jungmänner
Mit „Am Rand der Städte“ (2008) warf Bademsoy ein erhellendes Schlaglicht auf „Deutschländer“, Türken, die mit dem Ersparten oder der Rente in die Nicht-mehr-Heimat zurückkehren, wo sie sich in mit Eichenholzmöbeln eingerichteten Neubaugettos zusammentun. Mit ihrem neuen Film versucht Bademsoy, dem so merkwürdig zwischen den Assoziationen „Preußentum“ und „Streetgang“ pendelnden Begriff der „Ehre“ beizukommen.
2005 wurde die 23-jährige Hatun Sürücü in Tempelhof erschossen. Zum Zeitpunkt dieses „Ehrenmordes“, im Auftrag der Familie begangen vom jüngsten Bruder, drehte Bademsoy mit Sürücü einen Film über die Möglich- und Schwierigkeiten junger Deutschtürkinnen, unabhängig zu leben. Hatuns Ermordung lieferte Bademsoy den traurigen Anlass zu einer filmischen Erkundung des Ehrbegriffs.
Allzu weit macht sie das Feld nicht auf. Die Bundeswehrsoldaten beim Gelöbnis dürfen den Film zwar rahmen, werden aber nicht weiter thematisiert. Auch ihr Begriff von Ehre wäre interessant gewesen. Bademsoy aber kapriziert sich auf adoleszente Jungmänner mit schwieriger Ausgangssituation – Jungs, die bereits straffällig geworden sind, die in sozialen Brennpunkten wohnen, die im Gefängnis sitzen, die fast alle irgendeine Art von „Hintergrund“ haben. Bademsoys Kamera ist bei Antigewalttrainings der Polizei dabei, sie geht mit in die Suppenküche, wo Arbeitsstunden abgeleistet werden, sie schaut beim „Mitternachtssport“ in Spandau zu, wo breites Kiezdeutsch gesprochen wird, und nimmt teil an gruppendynamischen Übungen in der JVA.
Erleichtert sieht man, wie die staatlichen Institutionen begriffen zu haben scheinen, dass Polizisten im Ansatz Jugendslang sprechen, dass Sozialarbeiter im Wedding Männer mit türkischen Wurzeln sein und dass Knastbetreuer durchaus Leute sein sollten, die gen Mekka beten. Diese Erleichterung bekommt aber schnell einen Dämpfer, wenn man den jugendlichen Protagonisten zuhört.
Durch die Bank ist die „Ehre“ für fast alle ein komplett unhinterfragter, unreflektierter Katalysator für Geltungsdrang, Aggressionen und Selbstvergewisserung in der Gruppe. Das gilt für Christian genauso wie für Abdullah. Jemand beleidigt die Mutter: Ehrverletzung, Prügelei. Jemand baggert die Schwester an: Ehrverletzung, mindestens Prügelei. Eine Schwester, die in die Disko will oder sich ihren Freund selbst aussuchen: Familienehre in Gefahr, Schwester wegsperren.
Mit scheußlicher, grinsender Selbstverständlichkeit halten alle die haarsträubende Bigotterie ihres Ehrbegriffs aus: „Wenn ich mit einem Mädchen aus Versehen gevögelt habe, dann war das ein Fehler. Wenn meine Schwester das tut, dann ist das das Todesurteil.“
Schwindelig wird einem beim Zuhören, so unstimmig, so schreiend ungerecht ist diese ultimative Handlungsermächtigung unter dem Zeichen der verletzten Ehre. Bademsoy macht aber weder Monster noch Opfer: Ihre Männer von morgen sind Kinder der Strukturen, geprägt von ökonomischer und bildungstechnischer Unsicherheit sowie Role Models, die gleichzeitig überfordern und Gewalt legitimieren. Eine explosive Mischung.
Die Mütter und Schwestern, die Huren und Schlampen, die Jungfrauen und Ehefrauen, über die die Jungs in einem fort wie über ein Abstraktum verhandeln, treten bei Bademsoy übrigens nicht auf. Nur an vier Stellen im Film dreht sich die Kamera um 360° langsam um die eigene Achse. Man sieht Wohnblocks, parkende Autos, Werbetafeln, Mülleimer, Bushaltestellen. Hier wurden Frauen Opfer ihrer Brüder und Männer.
Bademsoy will es unaufgeregt und nicht entrüstet, was ein erster, notwendiger Schritt auf die Jungs und das Verständnis zu ist. Man wünscht sich trotzdem ein bisschen, dass ein zweiter diesen Jungs die alles andere als abstrakte Verletzlichkeit von Körpern und Seelen begreiflich machen würde. KIRSTEN RIESSELMANN
■ „Ehre“. Regie: Aysun Bademsoy. Dokumentarfilm, Deutschland 2011, 87 Min., im fsk-Kino
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