Hexenverfolgung in Hannover: Erfundene Schuldige
Künstlerische Installation im historischen Beginenturm: Eine Brücke zwischen lokalgeschichtlicher Hexenverfolgung und Verschwörungstheorie.
„Es war uns beim Thema Hexenverfolgung wichtig, den Frauen eine Stimme zu geben“, sagt Marcus Peter, der zusammen mit seiner Frau Katharina Peter die Ausstellung „Von H*x*n, Fake-Birds und anderen veRsChWörUnGen“ kuratiert hat. Sie ist ein Projekt des Vereins Theatrum in Kooperation mit dem Historischen Museum Hannover, das die Ausstellung im dazugehörigen Beginenturm noch bis 30. Oktober beherbergt.
Die Kurator*innen sind dabei Prozessakten der Hannoverschen Hexenprozesse der Jahre 1604 und 1605 durchgegangen. In der Universität Hannover findet begleitend eine Vortragsreihe unter dem Titel „Fakten, Fakes und Fiktionen: Von der Hexenverfolgung bis heute“ statt.
Das Erdgeschoss des Turms wurde früher als Kerkerraum verwendet. In der Decke kann man noch das sogenannte Angstloch sehen, durch das die Deliquent*innen vermutlich in den Raum herabgelassen wurden.
Zu den als Hexen hingerichteten Frauen gehört Ilse Hertsch. Sie wurde am 16. November 1605 verbrannt, nachdem sie in Haft gestorben war. Sie war Kuhhüterin. Als einige Kühe starben, wurde sie beschuldigt, die Tiere vergiftet zu haben und als „Zaubersche“ bezeichnet. Ihr wurde vorgeworfen, „vom Teufel beschlafen“ worden zu sein und Unglück zu bringen, sie wurde geschlagen und gefoltert. Am Ende habe sie selbst geglaubt, dass sie „des Teufels“ sei, sagt die Stimme, die ihre Geschichte erzählt. Das zeigt, wie die Frauen manipuliert und psychisch gebrochen wurden.
Wie eng der Diskurs um die Hexenverfolgung mit den Verschwörungstheorien, die heutzutage im Umlauf sind, verknüpft ist, zeigt ein Video-Essay, zu dessen Ausstrahlung man über eine schmale Wendeltreppe ein Stockwerk höher gelangt. Abwechselnd sind Stimmen von Kulturwissenschaftler*innen, Psycholog*innen oder Neurowissenschaftler*innen, aber auch Ausschnitte aus Audiochats von Verschwörungsideolog*innen zu hören. Dazwischen werden Regeln für Verschwörungserzählungen genannt, zum Beispiel „Nichts geschieht aus Zufall“ oder „Alles ist miteinander verbunden.“
Von H*x*n, Fake-Birds und anderen veRsChWörUnGen, Beginenturm, Hannover. Mi, Do, Fr und So, 15–18 Uhr. Ausschließlich als geführte Tour zu besuchen unter: hxn.info. Bis 30. 10. Infos zur Vorlesungsreihe auf www.uni-hannover.de
In dem Video-Essay wird besonders deutlich, dass Verschwörungserzählungen über Emotionen funktionieren: Die Menschen bräuchten Geschichten, um eine Theorie anzunehmen. Auch das Gefühl, im Recht zu sein, sei für Verschwörungsgläubige entscheidend: „Es geht nicht um die Wahrheit, sondern um Selbstbestätigung“, sagt Peter.
Im Video-Essay erklärt Neurowissenschaftlerin Katharina Schmack, dass Verschwörungstheorien wie Drogen wirken, da durch das Erkennen eines vermeintlichen Musters Dopamin ausgeschüttet und ein Glücksgefühl ausgelöst werde.
Ein Beispiel, wie Verschwörungserzählungen funktionieren, bereitet der nächste Raum auf: An die Wand ist ein großes Schild mit der Aufschrift „Birds aren’t real“ gelehnt. Auf dem Boden ist ein QR-Code, der, wenn man ihn mit dem Smartphone gescannt hat, mithilfe von Augmented Reality über die Handykamera auf dem Bildschirm Krähen durch den Raum hüpfen lässt.
Die Installation bezieht sich auf einen satirischen Verschwörungsmythos, den sich der US-Amerikaner Peter McIndoe 2017 als Reaktion auf Pro-Trump-Demos ausgedacht hat, um zu entlarven, wie leicht Menschen solche Mythen glauben. Was er laut Marcus Peter auch gezeigt hat, war, wie viel Geld bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien fließt: Durch den Verkauf von Merchandising habe McIndoe rasch ordentlich was eingenommen. Ähnliches sei bei den Online-Shops von Coronaleugner*innen der Fall.
Hannover war keine Hochburg der Hexenverfolgung, betont Marcus Peter. Trotzdem seien mindestens 27 Menschen als Hexen hingerichtet, zu Tode gefoltert oder verbrannt worden. Peter betont, dass diese Morde nicht etwa im Mittelalter geschehen seien, sondern in der Neuzeit. Wer die Hexenverfolgungen als vergangenen Teil der Geschichte ansieht, mache es sich also zu einfach: „Dieses Denken und diese Muster sind nicht überwunden“, sagt er.
Und: „Aufklärung reicht nicht“, betont Peter. Da Verschwörungserzählungen über Emotionen wirken, können die Menschen auch nicht mit Fakten erreicht werden. Stattdessen solle man versuchen, die Ängste der Menschen zu verstehen: „Wir müssen das Irrationale als Teil des menschlichen Seins begreifen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS