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Eine Stadt versendet sich

RADIO Die Berliner Motor FM-Redaktion will in einem neuen Radioprogramm das Hamburger Musikleben spiegeln. Bekommt nun das Projekt „Musikstadt Hamburg“ endlich eine Plattform?

Sappalot, gibt‘s nun Staatsfunk mit den Hamburger Grünen?

Es ist ein holzvertäfelter Raum im Hamburger Rathaus in dem Flügel des Gebäudes, in dem die Grün-Alternativen Liste (GAL) residiert. Die GAL regiert derzeit zusammen mit der CDU in Hamburg. Innerhalb des holzvertäfelten Raumes erkennt man die GAL daran, dass zum Kaffee giftgrüne Gummibärchen in Froschform gereicht werden. Außerdem steht da ein großes GAL-Wahlplakat mitten im Raum und daneben sitzt der GAL-Medienpolitiker Farid Müller.

Müller verkündet den Journalisten, Plattenfirmen-Vertretern und Angehörigen der Hamburger Musikwirtschaft, dass es in Hamburg ab dem 14. September ein neues Radioprogramm geben wird. Gesendet wird während der ersten vier Wochen sowohl auf einer UKW-Frequenz als auch im Internet, danach geht es nur im Internet weiter. „Wir bringen auf 106,0 UKW Clubmusik direkt in Hamburgs Wohnzimmer“ lässt sich Müller auf der Pressemitteilung zitieren.

Sappalot, denkt man sich, „wir“ steht da, gibt‘s nun also mit den Grünen Staatsrundfunk? Hippe „Clubmusik“ obendrein? Eine schöne Vorstellung, wie die zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch nachts im Club On-Air-Interviews mit dem neuesten heißesten Scheiß aus Hamburg-Eimsbüttel führt und das grüne Wahlvolk zu Hause lauscht.

Die Realität aber ist grauer. Müllers „wir“ bezieht sich auf eine Radioredaktion aus Berlin. „Wir“ heißt, dass die Radioredaktion das Programm macht, und Müller dem Vorhaben mit Networking den Weg geebnet hat.

Öffentliches Geld sei aber nicht geflossen, sagen Müller und die Radioredaktion. Die andere Frage ist, wo die UKW-Frequenz herkommt, denn Radiofrequenzen sind hart umkämpft. In diesem Fall handelt es sich um eine auf vier Wochen beschränkte „Eventfrequenz“. Vergeben hat sie der Medienrat der Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein. Dem Medienrat gehört Müller nicht an. Die Verbindung zur Politik ist, dass die Fraktionen in Bürgerschaft und Landtag die Mitglieder des Medienrats vorschlagen und wählen.

Das neue Radio heißt Flux FM und wird gemacht von der Redaktion des Berliner Privatradios Motor FM. Motor FM sendet in Berlin auf UKW und im Internet und ist 2004 angetreten, dem formatierten Dudelfunk der Mainstream-Radios ein anspruchsvolles, hippes, dem Neuen zugewandtes Programm entgegen zu setzen. Eng verbunden ist Motor FM mit der Plattenfirma Motor und eine Einnahmequelle des Radios ist, dass die gespielten Titel im Internet direkt zum kostenpflichtigen Download bereitstehen. Ansonsten gibt es mittlerweile auch Werbespots auf Motor FM. Laut der jüngsten Media-Analyse hören den Sender in der Region Berlin-Brandenburg 12.000 HörerInnen in der Durchschnittsstunde.

In Hamburg sollen die Berliner nun helfen, die Ziele aus dem Hamburger Koalitionsvertrag zu verwirklichen. Der Senat will die „Musikstadt Hamburg“ als „übergreifendes Schwerpunktthema stärker ausbauen“. Die „Musikstadt“ umfasst von der Elbphilharmonie bis zur Laien- und Jugendmusik verschiedene Bereiche. Im Bereich der Pop-Musik wünscht sich der Senat unter anderem ein „redaktionelles Musikradio“ als Präsentationsmöglichkeit für das hiesige Musikgeschehen. Das übernimmt nun ein Berliner Team – wo es doch in Hamburg mit dem jungen Internet-Sender Byte FM einen Kandidaten mit Lokalkompetenz und passendem Qualitätsanspruch gegeben hätte. Byte FM bekam kürzlich den Grimme Online Award.

Byte FM-Geschäftsführer Ruben Jonas Schnell „wundert sich, dass die Berliner holen“. Er sagt, dass es für die temporäre Frequenz keine Ausschreibung gegeben habe, deshalb habe man sich auch nicht beworben. Es habe auch kein Politiker das Gespräch mit Byte FM gesucht. Aber verärgert ist man deswegen nicht. „Die Stadt meint es gut mit uns“, sagt Schnell. „Wir werden da respektiert.“

Nun könnte es sein, dass sich die Geschichte um das neue Musikradio versendet. Das liegt vor allem an der zeitlichen Begrenzung der Frequenz: Das Signal auf 106,0 UKW ist schwach und eine Verlängerung steht nicht in Aussicht. Danach werden Flux FM und Byte FM im Internet ihre Hörer bedienen – und dabei über die „Musikstadt Hamburg“ nicht wirklich nachdenken.

KLAUS IRLER

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