piwik no script img

Notstand der FlüsseTransformation am Ufer

Essay von Ulrike Fokken

Eine Klimakrisen-Wirtschaft kann nur mit den Gesetz­en der Flüsse funktionieren. Die angebliche Versöhnung von Ökologie und Ökonomie ist keine Option.

Die alten Bauanleitungen für Flüsse taugen nicht mehr Foto: Katja Gendikova

G eradezu sinnlich haben wir in diesem Sommer den Klimawandel erlebt. Wir wissen jetzt, wie es sich anfühlt, wenn bei 37 Grad der Schweiß auf der Haut verdunstet und nicht mehr kühlt, wenn der Körper matt und der Kopf blöde in der Hitze hängen. In den Städten war es unerträglich, die Wälder standen brandgefährlich trocken. Seen und Flüsse kühlten kaum, als wir sie am dringendsten brauchten. Bis Juli hatte die Sonne die Seen und Flüsse auf 26, 28 Grad Celsius erhitzt. Auf den freiliegenden Ufersteinen moderten Wasserpflanzen. Algen dickten die Gewässer ein. Und an Rhein, Saale, Panke und unerwähnten anderen Flüssen haben wir erlebt, dass im Klimawandel auch der Flussbarsch und die Bachmuschel sterben.

Trockenheit bedeutet Tod im Fluss, der uns mehr angeht als ein ethisches Zucken. Erst einmal die gute Nachricht: Eines der vielen Wunder der Natur ist ihre Stärke, dem Leben das Leben zu ermöglichen. Strudelwürmer, winzige Krebse, Larven von allerhand Insekten und Fischen, Schnecken und Mikroben überleben in den feuchten Tiefen des Sediments und besiedeln den Bach und Fluss, sobald das Wasser wieder fließt. Wenn Tiere, Pflanzen und mikroskopische Kleinstlebewesen wieder ein Netz der Vielfalt knüpfen, belebt sich das ökologische System im Fluss und versorgt auch uns mit dem Element, das uns am Leben hält: Wasser.

Im Wasser der Oder keimt auch die Hoffnung, dass die Natur den ökologischen Kollaps im Fluss heilen kann. Die Bilder von Hunderttausenden toten Fischen in der Oder schmerzten. Barsche, Hechte, Neunaugen, Goldsteinbeißer, Döbel und auch 20.000 junge Störe aus den Bassins einer biologischen Nachzuchtstation erstickten. Verstörend ist vor allem, dass gleich eine ganze Reihe von menschlichen Ursachen den Ökozid in der Oder ausgelöst hatte: Die Salzeinleitungen in Polen lösten eine Kette von Reaktionen aus: Im gestauten Wasser an Buhnen und Wehren fanden die todbringenden Brackwasseralgen einen Lebensraum; zu viele Stickstoffverbindungen aus der Landwirtschaft nährten sie in dem vom Klimawandel erhitzten Fluss.

Diese Gründe und vermutlich noch ein paar mehr hängen multikausal mit der Lebens- und Wirtschaftsweise in den Industrieländern Deutschland und Polen zusammen. Und das ist eine der schwierigen Erkenntnisse: Wir alle sind für den Ökozid in der Oder verantwortlich. Das bedeutet: Wir müssen unsere Lebensweise ändern, die bislang vorherrschende Art zu wirtschaften und das Land zu beackern, umstellen. Ohne saubere Flüsse gibt es kein Trinkwasser, ohne natürlichere Flüsse vertrocknet das Land.

Keine Verklärung der Natur

Wenn es um Wald, Flüsse, Natur geht, entsteht in Deutschland schnell der Verdacht, man wolle zurück in eine Welt des 18. Jahrhunderts oder früher, jedenfalls in die Zeiten vor der Industrialisierung und der Einhegung des natürlichen Lebens. Das sind alte Reflexe der Abwehr, denn hierzulande überwiegen der feste Glaube an die Technik und menschliche Ratio. Naturnahe Wälder und natürlichere Flüsse entspringen jedoch nicht einer romantischen Verklärung der Natur, sondern der logischen Schlussfolgerung aus Trockenheit und einem Temperaturanstieg von 1,8 Grad in Deutschland in den vergangenen 50 Jahren.

Eine Klimakrisen-Wirtschaft an und auf Flüssen kann nur mit den Gesetzmäßigkeiten der Flüsse funktionieren. Denn ob die Wirtschaft nun wächst oder stagniert, ob der Kapitalismus noch ein paar Jahre weiter ballert oder zusammenbricht – in jeder Art zu wirtschaften und zu leben werden Flüsse eine entscheidende Rolle in Mitteleuropa spielen. Wie auch immer wir kollektiv zusammenleben, wird die Ökonomie nur mit Ökologie florieren. Um gleich ein Missverständnis auszuräumen: Es geht nicht darum, die Ökologie mit der Ökonomie zu versöhnen, die Wirtschaft also nachhaltiger, umweltfreundlicher und sogar klimaverträglicher zu gestalten. Es geht darum, die Gesetzmäßigkeiten von hochkomplexen Ökosystemen anzuerkennen und das bisschen, was Wis­sen­schaft­le­r:in­nen bislang entziffert und verstanden haben, in praktisches Handeln umzusetzen.

Auch das ist keine Romantik, sondern Logik. Nur mit den physikalischen, chemischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten in den Ökosystemen werden wir die Systeme menschlichen Zusammenlebens erneuern und erhalten können. Die Natur der Flüsse anzuerkennen, ist also kluge Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik – ebenso wie Treibhausgase einzusparen und die Erwärmung der Erde zu begrenzen.

FDP, CDU und weite Teile der SPD drücken sich noch an den Spundwänden entlang, um in ausgetrockneten Flüssen so weiterzumachen wie bisher. FDP-Bundesverkehrsminister Volker Wissing holte aus dem trockenen Sediment seines Schreibtischs die Rheinvertiefung vor, die er schon als Minister in Rheinland-Pfalz machen wollte und auch ohne Dürre die Sache verschlimmert hätte. Den Rhein in diesen heißen Zeiten zu vertiefen, ist so, als ob man einen Sonnenbrand mit dem Abtragen der Haut behandelt. Je tiefer ein Fluss ausgebaggert wird, desto schneller fließt das Wasser aus der Landschaft und desto stärker trocknet das umliegende Land aus.

Ein vertiefter Fluss verliert außerdem zu viel Sediment, in dem kleinste Lebewesen und Bakterien das Wasser reinigen, bevor es ins Grundwasser läuft. Sind zu wenige Steine und Sand am Flussgrund, bricht das Sediment, und das ungefilterte Flusswasser verschmutzt das Grundwasser. Schon jetzt kippen Laster täglich Steine und Sand in den Rhein und andere gestaute und ausgebaggerte Flüsse, um das Sediment in den Flüssen zu erhalten und den Trinkwasser-GAU zu verhindern.

Die Folgen von Hochwasser oder Gar-kein-Wasser werden nur dann gemildert, wenn die Ökosysteme in und an den Flüssen in das menschliche Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in heißen Zeiten integriert werden. Das bedeutet nicht, dass fortan Rhein, Elbe, Donau wieder in den natürlichen Flussarmen strömen, Deiche verschwinden, alle Wehre und Staumauern und Wasserkraftwerke abgebaut werden. An sehr vielen Ufern brauchen wir den Schutz den Mauern, denn sie halten Industrieanlagen und Siedlungen trocken. Noch brauchen wir auch die megawattstarken Wasserkraftwerke in den Alpenflüssen, aber eines Tages werden Sonne und Wind die Energie naturverträglicher liefern als die gestauten Flüsse.

Wehre, Wasserkraftwerke und Ufermauern stammen aus früheren Jahrhunderten. Aber mit den Bauanleitungen des 18., 19. und 20. Jahrhunderts können wir im 21. Jahrhundert nicht mehr hantieren. Damals haben Wasserbauer die Flüsse begradigt, gestaut, vertieft, umgeleitet, um Wasser aus der Landschaft zu holen, Land zu gewinnen und Transportwege zu bauen. In früheren Jahrhunderten hat es mehr geregnet, im 19. Jahrhundert sogar sehr viel mehr, und das Land war nass und die Moore ausgedehnt. Es gab zu wenig trockenes Land zum Ackern, Siedeln, Fabriken bauen. Ein Prozent der Flüsse und nicht einmal ein Prozent der Auwälder haben die große Trockenlegung in Deutschland überlebt.

Ökologische Naivität

Klimakrise und Flüsse als Rinnsale in der Restwasserrinne erfordern ein neues Denken, eine Transformation am Ufer, die in ihrem Ausmaß dem Umbau der Energieversorgung gleichkommt. Und wo wir bei der Energiegewinnung am Fluss sind: Ohne Wasser im Fluss können Atomkraftwerke schon aus ökosystemischen Gründen keine Lösung der Energiefrage sein. Atomkraftwerke laufen nicht ohne Kühlwasser.

Die ökologische und wirtschaftliche Naivität von Leuten wie CDU-Chef Friedrich Merz und FDP-Christian-Lindner erschreckt in der multiplen Krise von Energieversorgung, Trockenheit und extremen Temperaturen. Den Klimawandel zu leugnen, können sie sich nicht leisten, aber die Realitätsverleugnung bleibt in ihren Kreisen salonfähig. Also versuchen Merz und Lindner mit alten Rezepten das Bestehende in der Krise zu erhalten – und verschleppen die längst anlaufende Transformation.

Wer Ökologie nicht versteht, kann auch keine Wirtschaft in der Transformation. Und da brauchen die neuerdings im grünen Jargon fischenden Politik- und Wirtschaftsleute nicht mit Nachhaltigkeit zu kommen. Nachhaltigkeit taugt nicht mehr als Konzept in der Klimakrise. Das Wirtschaftsmodell stammt aus der Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts und kann keine Antworten auf die komplexen biologischen, physikalischen und chemischen Zusammenhänge einer Erderwärmung geben.

Umbau der Flüsse

Ein naturwissenschaftlich basiertes Wirtschaftskonzept muss vernetzt denken und Vielfalt fördern – das wäre schon mal die erste Lehre aus der Ökosystemforschung. Ökosysteme sind dann stark, wenn viele unterschiedliche Lebewesen vernetzt und in ihrem Rhythmus arbeiten und leben. Da Flüsse den entscheidenden Rohstoff allen Lebens kontrollieren, müssen Flüsse in die Überlegungen der Zukunftsfähigkeit eingebunden werden. Die Flüsse müssen umgebaut werden – so wie die Bundesregierung den Waldumbau mit Milliarden Euro subventioniert, muss ein Vielfaches dieser Summe in den ökologischen Flussumbau fließen.

Der Klimawandel ist in diesem Sommer der ausgetrockneten Flüsse endgültig aus der wissenschaftlichen Realität in die spürbare Wirklichkeit von Hitze und Durst getreten. Das Wesen des Flusses ist sein Fließen, das die Landschaft mit Wasser versorgt und unser Denken bewegt. Wir müssen es anders machen. Anders essen, anders fahren, anders heizen, anders wirtschaften, alles das anders machen, das bisher Treibhausgase produziert und die Temperatur steigen lässt. Und weil wir alles anders machen werden, neu denken und Lebensweisen neu erfinden, geht es nicht mehr um Verzicht, sondern um Bewegung für die Transformation der Gesellschaft. Panta rhei, alles fließt, lehren die Flüsse.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Herzlichen Dank für diesen außerordentlich kenntnisreichen, unaufgeregten Artikel. Es ist allerdings die Frage, ob die Zeit noch für die breite Einsicht reicht: "Wir wollen es anders machen". Die kluge, radikale Sybille Berg hat als Zukunftsperspektive formuliert: "Wir sollten die Kathastrophe umarmen."

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Der Umbau der Fluss- und Gewässerlandschaften und die Erhaltung und Renaturierung von Feuchtgebieten und Mooren wurde vor mehr als 40 Jahren wissenschaftlich begründet angemahnt.



    Hintergrund war die Erkenntnis, dass die technisch-infrastrukturelle Zivilisation die Landschaften entwässert, entfeuchtet, austrocknet und Kipppunkte eine Reparatur der Folgen erschweren bis verunmöglichen würden.



    Ein Verdacht, dass man die Zivilisation damit "zurück zur Natur" schicken wolle, "entstand" nicht gerade mal so, diese Verdächtigung wurde gezielt in aggressiver Ignoranz zur Ächtung der Forderungen wie der Fordernden ausgerufen. So viel zur Tradition deutscher Naturromantik einer „ökologischen Naivität“.

  • Roland Schaeffer , Autor*in ,

    Was für ein kluger und schöner Text!