25 Jahre Buena Vista Social Club: Ein unerklärlicher Erfolg
1997 debütierten die alten Herren vom Buena Vista Social Club. Ihr weltweiter Erfolg sorgte in der Musikindustrie für amüsante Verwirrung.
Buena Vista Social Club war wie ein alleine stehendes Happy End, ohne vorangegangene Geschichte. Kaum jemand kannte die Protagonisten, fast niemand hatte je einen Ton von ihnen gehört, und wären sie gestorben, ohne dass Ry Cooder und Wim Wenders sie noch zu spätem Weltruhm geführt hätten, niemand auf der Welt hätte auch nur den leisesten Phantomschmerz verspürt.
Das Happy End aber war so herzsprengend wunderschön, schöner, als es Hollywood in irgendeiner Romantic Comedy mit Meg Ryan auch nur je hinzukriegen gehofft hätte, dass daran auch die Tatsache nicht rütteln konnte, dass das Album von Buena Vista Social Club nicht so über die Maßen toll war, eher so ganz nett, ziemlich okay, so joah …
Aber wie Compay Segundo (geboren 1907) und Ruben Gonzalez (geboren 1919) mit einem acht Millionen Mal verkauften Album im Herbst ihres Rentnerdasein auf einmal zu Weltstars wurden und diesen Status sogar noch ein paar Jährchen auf Welttourneen genießen konnten, gab nicht wenigen Menschen den Glauben zurück. Hach!
Die nächste Generation „Buena Vista“-Werke, eilig nachgeschobene Alben von Omara Portuondo und Ibrahim Ferrer etwa, hatten künstlerisch eher noch mehr zu bieten. Die exzellent ausgebildeten kubanischen Musiker um Juan de Marcos und Cachaito spielten sich warm. Der Sozialklub verbreitete sich rhizomartig, immer mehr Zellen bildeten sich, mit mehr oder minder eindeutiger Verbindung zum Urknoten. Cooder und Wenders hatten schon lange das Gebäude verlassen. In der Folge schickten viele Länder, vor allem aus Lateinamerika, ihre Senioren an die Front („Café Brasil“ hieß das dann etwa), das funktionierte eher so mäßig.
Kuba als Kult
Was jedoch für eine Weile funktionierte, war, den Begriff „Buena Vista“ als ultimatives Simsalabim des Tonträgerverkaufs einzusetzen. Fand man in Bad Echterdingen einen Hotelpianisten, der einigermaßen flüssig „Bésame mucho“ performen konnten, den man Alfredo nennen konnte, oder eine Krankenschwester, die annähernd akzentfrei „Veinte años“ über die Rampe bringen konnte, brauchte man ihnen nur ein Mikro unter die Nase zu halten, das Endprodukt „Buena Vista Dingsbums“ nennen und konnte hoffen, bei einem Einsatz von 750 D-Mark am Ende womöglich einen fünfstelligen Gewinn nach Hause zu tragen.
Das nervte irgendwann. „Kuba als Kult“ stand nicht nur einer echten Bestandsaufnahme und Wertschätzung der Karrieren der beteiligten Künstler*innen im Wege, sondern auch mehreren Generationen nachgewachsener, auch nicht ganz schlechter kubanischer Kolleg*innen mit völlig anderen musikalischen Interessen und Fertigkeiten. Es verwässerte, exotisierte, blockierte …
Das wichtigste künstlerische Verdienst des Projekts Buena Vista Social Club lag womöglich ganz woanders: Der britische Toningenieur Jerry Boys gab dadurch der Welt das verlorene Wissen um die Audioaufnahme zurück. In der schrecklichen zweiten Hälfte der 1980er hatten sich nämlich weltweit dämonische Musikproduzenten und ihre Gehülfen, die Toningenieure, unter dem Zeichen der von den grässlichen, weltweit ihren gehirnwaschenden Siegeszug feiernden Privatradios geforderten „Durchhörbarkeit“ verschworen, Musik zu schrumpfen.
Sie beraubten Musik ihrer eigentlichen Inhalte, jede verdächtige Frequenz und jede auffällige Dynamik war herausgefiltert, um Instrumente klingen zu lassen, als seien sie ihre eigenen Plastikgeschwister aus dem Kaugummiautomaten; Gesang mutete an wie Anrufe aus der Schattenwelt, und insgesamt wurde somit ein Höllengebräu erzeugt, das nur ertragen oder gar genießen konnte, wer vor der Morgenzigarette schon zwei bis fünf Linien Kokain konsumiert hatte.
Die Seele der Musik
Jerry Boys gab der aufgenommenen Musik – so melodramatisch und kitschig das jetzt auch klingen mag (aber das muss so klingen, denn so war’s!) – die Seele zurück. Nicht die Seele, von der man in religiösen Schriften liest, vielmehr jene metaphysische Entität, die es sich in den wenigen Zentimetern Abstand zwischen einem Mikrofon und einem Kontrabass wohl sein lässt, die zwischen Holzpaneelen, Parkettfußböden, Kondensatoren und Röhren ihr natürliches Habitat hat.
Sie kommt aber erst wieder zum Vorschein, wenn all die Kompressoren und Noise-Gates, die es bei der großen Produzentenverschwörung zu vertraglich festgelegten Pflichtwerkzeugen bei der Produktion von „Musik“ gebracht hatten, aus den Räumlichkeiten des Aufnahmestudios und am besten auch aus dem Gedächtnis des beteiligten technischen Personals entfernt worden sind.
Der schöne Klang hat natürlich auch wieder einen nicht zu unterschätzenden Manufactum-Faktor und könnte leicht zur Munitionierung eines Plädoyers für Ewiggestrigkeit werden. Dabei geht es eher um das Problem des Verlernens von Fertigkeiten, da man denkt, man bedürfe ihrer nicht mehr. Die Musikaufnahme existierte aber auch nach dem Epochenwechsel weiter, den die Digitalisierung eingeläutet hatte, und soll bitte ordentlich und sachgemäß ausgeführt und nicht irgendwelchen Cokeheads in die Hände gegeben werden, die sich eigentlich nur fürs Shapen eines Bassdrumsounds und die dazu nötigen Gadgets interessieren.
Den Erfolgsfaktor finden
Wir wollen nicht übersehen: Während Ruben Gonzalez seine arthritischen Finger über die Tasten tanzen ließ und Cachaito sein Kolophonium auspackte, saßen in anderen Erdteilen Künstler*innen wie Aphex Twin, Drexciya und Jan Jelinek an ihren digitalen Maschinen, definierten die Gegenwart der Musikproduktion und bereiteten das Territorium für die nächsten Jahrzehnte. Innovation war keine Kernkompetenz des Buena Vista Social Clubs.
Amüsant aber war es, die Verwirrung zu beobachten, die der Erfolg in der Musikindustrie stiftete. Natürlich wurde gleich losanalysiert, um den Erfolgsfaktor zu finden, der ihr Album, dieses „Produkt“, nicht nur zum Verkaufsschlager und zugleich Kritikerliebling machte, sondern ihm auch noch eine Haben-muss-Coolness verlieh, die das eigentliche Fernziel jeder Marketingabteilung ist.
Dabei trug das Produkt eigentlich diverse Marker der Unverkäuflichkeit oder zumindest der lebenslänglichen Kümmerexistenz in tristen Kulturnischen: falsche Herkunft, falsche Sprache, keine Stars, Alter der beteiligten Künstler*innen geradezu lächerlich hoch. Selbst der vermeintliche Rettungsanker Ry Cooder – die Verbindung zur global nördlichen Musikwelt – war ja eher ein Außenseiter, kein verkaufsfördernder Name, kein Phil Collins. Was war es nun also?
Ein Bedürfnis befriedigt
Die Antwort wurde – offiziell – nie gefunden. Die Nachhaltigkeit des Buena-Vista-Erfolges zeigt immerhin, dass es nicht der seit Jahrzehnten immer wieder mal unberechenbar zuschlagende Noveltyeffekt war, der in den 1980ern auch Ofra Haza und Mory Kanté in die deutschen Charts gespült hatte und Nenas „99 Luftballons“ in die der USA.
Mit Buena Vista wurde offensichtlich ein echtes, bislang nicht bedientes Bedürfnis befriedigt. Vielleicht war die Uniformität der Durchhörbarkeit doch nicht der Weg ins Paradies, vielleicht bekam man mit Entzug der Diversität die unterschiedlichen Interessen der Musikkonsument*innen doch nicht in den Griff, vielleicht musste man sich irgendwie mit einer Welt arrangieren, in der des einen Eule des anderen Nachtigall ist.
Eine große Rolle könnte aber auch die selbstreinigende Kraft des menschlichen Gedächtnisses gespielt haben, die Erinnerungen gerne in die größeren Erzählstränge einpasst, unpassende Details löscht und andere so modifiziert, dass sie die Haupterzählung stützen. Der britische Autor Mike Gonzalez wies darauf hin, dass die Kunst des Buena Vista Social Clubs nicht etwa „authentisch“ ist, sondern das Ergebnis eines Zurückblickens auf „zeitlose, sinnliche Orte, wobei sich Träume und Verlangen vereinen zu einer komfortablen und sinnstiftenden Musik“.
Womit wir dann wieder wären bei der nicht zu unterschätzenden Kraft eines überzeugenden Narrativs mit Happy End.
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