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Regenbogenfabrik in BerlinBestens besetzt

Hier kann man günstig Kultur erleben oder auch mal ein Fahrrad reparieren: Die Regenbogenfabrik zeigt, dass sich Hausbesetzung für den Kiez lohnt.

Das Rad im Betrieb der solidarischen Regenbogen-Ökonomie Illustration: Sebastian König

Berlin taz | „Du baust das Rad aus, nimmst den Mantel ab, und wir zeigen dir dann, wie du die Speiche einziehst“, erklärt mir der Mitarbeiter der Fahrradwerkstatt das Prozedere. Ich nicke, klingt eigentlich gar nicht so schwer. „Dann muss es noch zentriert werden, das ist nicht so einfach, zur Not machen wir das.“ Er deutet mit ölverschmierter Hand auf den kompliziert aussehenden Zentrierständer, mit dem sich ­eiernde Räder wieder begradigen lassen.

Angesichts mittlerweile astronomischer Gas- und Stromrechnungen bin ich froh, dass es Selbsthilfewerkstätten wie diese hier im Kreuzberger Kultur- und Wohnprojekt Regenbogenfabrik gibt. In einem normalen Fahrradladen kann eine Reparatur schnell teuer werden, hier reicht eine kleine Spende – und nebenbei lernt man jedes Mal dazu.

Angesichts steigenden Verwertungsdrucks verschwinden viele solcher unkommerziellen Räume – Selbsthilfewerkstätten, Proberäume, Jugend- und Nachbarschaftstreffs oder Wagenplätze –, die das Leben in der Stadt auch ohne viel Geld lebenswert machen. Neue zu schaffen, wird zunehmend ein Ding der Unmöglichkeit.

Ein Ort, viele Projekte

Wie ist es also möglich, dass eine solch unkommerzielle Fahrradwerkstatt seit über 40 Jahren Bestand haben kann, in einem Bezirk, in dem die Mieten deutschlandweit mit am schnellsten steigen?

Die Fahrradwerkstatt ist nur eines von vielen Projekten, die in der Regenbogenfabrik in der Lausitzer Straße beheimatet sind: Über den Hof des Geländes schlurfen rucksackbepackte Hostel-Gäste, ein wenig weiter spielen Kinder aus der Kita, mittags bietet eine Kantine günstiges Essen und abends ein Kinosaal anspruchsvolles Kinoprogramm – und dann wohnen hier auch noch 33 Menschen. Längst ist die Regenbogenfabrik fester Bestandteil der sozialen Infrastruktur des Kiezes.

Im März 1981 besetzten Ak­ti­vis­t:in­nen das brachliegende Fabrikgelände. Eigentümer war ein stadtbekannter Spekulant, der den heute unter Denkmalschutz stehenden Fabrikkomplex abreißen und durch Neubau ersetzen wollte. Die Be­set­ze­r:in­nen konnten nicht nur den Abriss verhindern, sondern auch dauerhaft ein Nachbarschaftszentrum errichten.

Klassisch instandbesetzt

Das baufällige Gelände renovierten die Be­set­ze­r:in­nen komplett selbst – eine klassische „Instandsbesetzung“, eine Praxis, durch die in den 80er Jahren weite Teile der historischen Bausubstanz Kreuzbergs gerettet werden konnten. Gerade die heute heißbegehrten Altbauten sollten großflächig abgerissen werden.

1984 wurde die Besetzung erstmals durch einen Mietvertrag legalisiert. Trotzdem drohte das Projekt immer wieder das Aus, ob nun durch Konflikte mit dem Eigentümer, wegen Finanzierungsschwierigkeiten oder zahlreichen internen Konflikten.

Erst 2011 gelang es, das Projekt langfristig zu sichern. Das Gelände wurde mittlerweile vom Land Berlin gekauft und an den Bezirk übergeben, der wiederum einen 30-jährigen Erbpachtvertrag abschloss.

Solidarische Ökonomie

Nachdem die Einstellung staatlicher Unterstützung das Projekt Ende der 1990er Jahre in eine existenzielle Krise gestürzt hatte, finanziert es sich nun weitestgehend selbst.

Dabei werden unkommerzielle Projekte wie die Fahrradwerkstatt durch profitablere Projekte wie das Hostel querfinanziert. Unabhängig von der Profitabilität der Arbeit werden dabei gleiche Löhne gezahlt, sämtliche Gewinne geteilt. „Solidarische Ökonomie“ nennen die Ak­ti­vis­t:in­nen dieses Prinzip.

Und es funktioniert. Selbst die Einnahmeausfälle während der Coronakrise konnte das Projekt verkraften. Als die Fabrik vor Kurzem ihren vierzigsten Geburtstag mit einem ausschweifenden Hoffest nachfeiern durfte, hieß es natürlich „Eintritt frei“.

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8 Kommentare

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  • Wie nannte Wolfgang Pohrt die Hausbesetzerbewegung?

    "Rebellion der Heinzelmännchen"

    • @Jim Hawkins:

      Was mehr über Pohrt aussagt als über die Häuserbesetzenden.

      • @FullContact:

        Nämlich was?

        • @Jim Hawkins:

          Vielleicht ein geringes Verständnis sozialer Bewegungen?

        • @Jim Hawkins:

          Regenbogenfabrik, Berlin 2019



          www.youtube.com/watch?v=M_tl2pFBK1g



          Schon eile ich aus dem Osten herbei...



          ....In dem Vortrag „Rebellion der Heinzelmännchen“, den er 1982 in einem besetzten Berliner Haus hielt, entlarvte er nicht allein die Instandbesetzer als Synthese aus Barrikadenkämpfer und Trümmerfrau, sondern enthüllte auch sein Selbstverständnis als Autor. Er rühmte sich, nicht recherchiert zu haben, und stellte sich als „verantwortungsloser“ Kritiker dar, der keine Rücksichten zu nehmen habe. Seine Aufgabe sei es lediglich, „eine begründete abweichende Meinung“ zu äußern. Der Kritiker ist in der Porth’schen Projektion ein asozialer Desperado, der sich jeglichem Gruppendruck verweigert und nur das eigene Interesse vertritt. .



          literaturkritik.de/id/14564



          Wunderbar, dieses Kapital



          taz.de/Elf-Baende-...ng-Pohrt/!5499310/



          Zum Glück.. gab es im Osten nur eine Partei die immer Recht hatte!

          • @Ringelnatz1:

            Würde es einen Bravo-Starschnitt von Pohrt geben, ich würde ihn an die Wand hängen.

            Neben den von Eike Geisel:

            de.wikipedia.org/wiki/Bravo-Starschnitt

            Beide waren brillant, absolut nicht anpassungsfähig und kompromisslos.

            Und beide hatten im kleinen Finger mehr analytische Schärfe und argumentative Genauigkeit als alle Prechts, Göpels, Flaßpöhlers und wie die Dampfplauderer alle heißen, in ihren Gesamtwerken.