Eike Geisel, unnachgiebiger Kritiker des deutsch-jüdischen Versöhnungskitschs

Eike Geisel ist tot. Er starb im Alter von 52 Jahren am vergangenen Mittwoch nach einer langen, mehr als zwei Jahre dauernden Krankheit. Anfang der 90er Jahre hatte er zusammen mit Henryk M. Broder eine Ausstellung über den Jüdischen Kulturbund vorbereitet, die von Januar bis April 1992 in der Akademie der Künste Berlin gezeigt wurde. Er hatte zahlreiche und auf der ganzen Welt verstreut lebende Mitglieder des Kulturbundes aufgesucht, mit ihnen Interviews geführt und ihre Geschichte, von der kaum jemand bis zu diesem Zeitpunkt Notiz genommen hatte, recherchiert. „Das waren Sternstunden“ hieß der Dokumentarfilm, der auf Sentimentalität und Pathos verzichtete und statt dessen den Charme und Witz der Überlebenden einfing. In einem anderen Dokumentarfilm, „Erbschaft eines Angestellten“, beschäftigte sich Eike Geisel mit Adolf Eichmann und der Kontroverse, die Hannah Arendt mit ihrem Bericht „Über die Banalität des Bösen“ auslöste.

Neben Horkheimer und Adorno hatte Hannah Arendt sein Denken am meisten beeinflußt. Als Übersetzer ihrer Essays und Kommentare traf er ihren lakonischen und unversöhnlichen Ton vielleicht am besten. Er selbst galt als ein unnachgiebiger Kritiker des deutsch-jüdischen Verbrüderungskitschs, und insofern hat er die beste Seite Arendts, die Gesellschaftskritik, die keine Rücksichten kennt, fortgeführt. Seinen Aufsätzen wurde in der Regel eine „bemerkenswerte Herzlosigkeit“ attestiert. Zwar schätzten viele Redakteure seine Arbeiten, aber die Veröffentlichung überließen sie gern ihren Kollegen von der Konkurrenz, weil sie sich selbst keinen Ärger einhandeln wollten.

Frühzeitig machte er sich über das „Shoa-Business“ lustig, über die Opfermentalität der Deutschen, über den moralischen Antisemitismus während des Golfkriegs. „Some of my best friends are German“, schrieb er als Antwort auf das bekannte antisemitische Stereotyp, demzufolge man einige Juden zu seinen besten Freunden zählt. Einer seiner letzten Artikel war eine Kritik an dem Buch „Auge um Auge. Opfer des Holocaust der Täter“ von John Sack, welches im Piper-Verlag erscheinen sollte. Nachdem der Artikel in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht worden war, zog Piper das Buch zurück. Es folgte eine große Kontroverse, in der ihm die meisten Journalisten nicht sehr freundlich gesonnen waren. Eike Geisel gehörte neben dem verstorbenen Schultz-Gerstein, neben dem verstummten Wolfgang Pohrt und dem frühen Henryk M. Broder zu denen, die immer wieder auf den Bankrott einer Gesinnung hinwiesen, die sich einmal als Alternative präsentiert hat.Klaus Bittermann