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Great Resignation überallWenn die Unruhe surrt

Viele in der Generation Y suchen gerade: Nach Sinn, nach einem guten Verhältnis von Arbeit und Freizeit. Und was macht die Gesellschaft als Ganzes?

Wozu über sich hinauswachsen? Foto: Fatima Guisado/imago

Z um hartgekochten Ei wird eine Kuchengabel gereicht. Sie liegt neben dem Eierbecher, auf so einem blau verzierten Teller, wie meine Oma sie früher im Eichenholzbuffet hatte, und ich fühle mich, als schaute ich in den Spiegel. Alles wie immer, aber etwas Wesentliches stimmt nicht. Ich bin der Teller mit dem Ei und der Kuchengabel, denke ich. Sorry, ich bin so müde, sagt die Kellnerin.

Fast alle, die ich kenne, suchen gerade nach Sinn. Alles steht infrage, mehr als sonst. Bei der einen ist es eine lauernde Unzufriedenheit, „so als würde der ganze Körper jucken, aber man könnte sich nicht kratzen“, sagt sie.

Andere fragen sich, wann und ob sie sich Kinder leisten können, ob der Beruf noch passt, und ob Vollzeit sein muss. Sie wollen nicht mehr Geld, sondern mehr Freizeit. Wozu über sich hinauswachsen, während der Rest der Welt in sich zusammenfällt? Die Unruhe surrt im Hintergrund wie ein alter Kühlschrank.

Den meisten Sinnsuchenden geht es an sich gut. Das liegt auch daran, dass man den Sinn in der Regel erst dann in Ruhe suchen kann, wenn das Grundlegendste gesichert ist. Man könnte ihnen also sagen: So ist das in den Dreißigern, und in der Generation Y. Man könnte auch vorwerfen: Luxusprobleme fauler Mittelschichtsnüsse. Aber vieles spricht dafür, dass diese berufliche Sinnsuche und der kollektive Antriebsverlust gerade nicht nur mit individuellen Lebensphasen zu tun haben.

Great Resignation

Aus den USA hört man von der „Great Resignation“, der großen Kündigungswelle (und eben Resignation), und vom „Quiet Quitting“, was bedeutet, nicht mehr für den Job zu tun als minimal nötig. In China ist seit Anfang 2021 von „tǎng píng“ die Rede, „lying flat“, eine Art passiver Widerstand gegen die Kultur der völligen Überarbeitung und das Hamsterradgefühl, das sich bei Millionen Menschen eingestellt hat, die extrem viel arbeiten und trotzdem nicht mit Lebensqualität belohnt werden. Und denen es an glaubwürdigen Entwürfen einer besseren Zukunft fehlt.

Mittlerweile wurde „tǎng píng“ sogar von „bǎi làn“ abgelöst, wörtlich „let it rot“ – man soll sich keine Mühe mehr machen, wenn man ohnehin nichts erreichen kann. Und hier arbeitet in Teilzeit, wer es sich leisten kann, steigt der Fachkräftemangel auf ein Rekordhoch, hält kaum noch jemand die grässlichen Arbeitsbedingungen in Pflege- und Dienstleistungsberufen aus.

Vielleicht sind wir unzufrieden, weil man sich am Ende doch nicht ganz selbst finden kann, wenn die Gesellschaft drumherum sich verliert. Aber Ideen für Besserung gibt es genug. Die 30-Stunden-Woche. Oder ein sozialer Pflichtdienst für wirklich alle, mit Grundeinkommen, bei dem je­de*r eine Zeit lang etwas für das Gemeinwohl täte. Vormittags Bäume gießen, nachmittags Lesepatin sein, als bezahlte Gemeinwohlweiterbildung?

Aber wahrscheinlich muss man sagen: Das wird nichts, vor allem nicht mit der FDP. Und dann isst man das Ei mit der Kuchengabel.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag.