Soziale Pflichtzeit: Tatütata, die Dienstpflicht ist bald da

Der Bundespräsident will eine „soziale Pflichtzeit“ für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Aber wer würde davon profitieren? Fünf Anekdoten aus der taz.

Ein Rettungswagen als Spielzeugauto

Dienstpflicht: Für alle, die nach dem Führerscheinerwerb gleich Rettungswagen fahren möchten Foto: imago

Auf die Wehrpflichtdebatte folgte kürzlich der Vorschlag eines Gesellschaftsjahres für alle. Nun hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine weitere Idee: eine „soziale Pflichtzeit“, also einen verpflichtenden Dienst in einer sozialen Einrichtung oder auch der Bundeswehr. Anderen helfen, aus der eigenen Blase herauskommen, mal etwas Neues kennenlernen: Das stellt sich Steinmeier als etwas „Wertvolles“ vor. Hat er recht? Fünf Geschichten, die vom Engagement erzählen.

Betreuung durch den überforderten Zivi

Es war nicht ganz einfach mit dem kleinen K. Wobei klein nicht ganz richtig ist: Der Erstklässler steckte im Körper eines 14-Jährigen. Während seiner liebenswerten Phasen war das kein Problem, wenn er mal still saß und selig lächelnd vor sich hin redete („Eine Chicken McNugget … eine Kinder Pinguin … eine Pommes …“).

Leider konnte seine Stimmung aber auch ohne Vorwarnung umschlagen. Wenn die Erwachsenen nicht schnell genug dazwischengingen, bekamen dann seine Nebensitzer auf den Deckel – im wörtlichen Sinne. Die Lösung in solchen Situationen: raus aus dem Raum und Einzelbetreuung durch den verkaterten Zivi, der sich mit schwerem Autismus zwar nicht auskannte, aber im Trial-and-Error-Verfahren zumindest einige Strategien ausprobieren konnte.

Was sich bewährte: Kind in die Nestschaukel und zwei Stunden anschubsen. Was nicht so gut funktionierte: Spaziergang zum Einkaufszentrum mit Einkehr im Döner-Imbiss. Sorry noch mal für die Verwüstung. K. meinte es nicht so. Tobias Schulze

Als ich die EU lieben lernte

Nach dem Abi in Dresden jobbte ich erst anderthalb Jahre und wollte dann raus aus Deutschland. Ich fand das vollfinanzierte Programm Europäischer Freiwilligendienst und bewarb mich bei RFSL Ungdom in Stockholm, eine queere Jugendorganisation. Ich ging 2006 mitten im dunklen Winter und wohnte erst mal in der Platte und lernte, dass die Mi­gran­t*in­nen in Stockholmer Randbezirken leben und die U-Bahn dahin rassistisch „Orientexpress“ genannt wurde. Realitätscheck Bullerbü.

Ich habe mit vielen trans Personen gearbeitet. Ich habe angefangen, Geschlecht neu zu denken. Ich bin überhaupt erst Feministin geworden. Ich war auf der traurigen Wahlparty der feministischen Partei. Ich habe in Schweden mehr von Politik verstanden als in der Schule. Ich habe Queers in Polen und dem Baltikum getroffen. Mir ist EU-Recht klar geworden. Ich hab Kondome verteilt. Ich stand beim CSD auf einem Wagen. Ich höre Nelly Furtados „Maneater“ nie wieder mit denselben Ohren.

Ich glaube, es gibt kein anderes Jahr, das mich in seiner Gänze so geprägt hat wie dieser Freiwilligendienst. Zwei Freundschaften halten bis heute. Danke, EU! Katrin Gottschalk

Die Arbeit als Heraus­forderung begreifen

Ärsche wischen für den Frieden. Das war mein Motto während des Zivildienstes Ende der 1980er-Jahre. Eigentlich hatte ich „Essen auf Rädern“ machen wollen. Dummerweise war diese als soft geltende Arbeit so nachgefragt, dass ich Jahre auf einen freien Platz hätte warten müssen. Stattdessen bot mir der soziale Träger einen Job als „Edelzivi“ an: Individuelle Schwerstbehindertenbetreuung. Heute würde man sagen: Ich habe es als Challenge begriffen.

Ich wollte wissen, was es heißt, einem Menschen nahezu rund um die Uhr im Wortsinn unter die Arme zu greifen. Morgens wecken, abends zusammen feiern und ihm zwischendurch mal ein Zäpfchen reinzuschieben, damit der Darm tätig wird. Und später dann den Scheiß wegräumen und ein frisches Kondomurinal anlegen. Mal im Studentenwohnheim, mal in Spanien am Strand. Es war eine prägende Erfahrung fürs Leben. Nach dem Zivildienst habe ich mein Studienfach gewechselt. Nein, nichts Soziales, nichts mit Pflege oder Medizin. Denn ich wusste nun, ein Leben lang will ich das nicht machen. Gereon Asmuth

Die Älteren nicht vergessen

Einige Medien berichten, dass Frank-Walter Steinmeier einen „Pflichtdienst für junge Menschen“ will. Nur: So hat er das nicht gesagt. Seine Aussage betrifft alle, unabhängig von ihrem Alter. Und genau dieses Detail ist löblich an seinem Vorschlag.

Schon oft hat man gehört: Die jungen Leute sollen doch mal was Sinnvolles machen, sich positiv in die Gesellschaft einbringen. Die Älteren aber werden meist nicht mitgedacht. Ein beliebter Vorschlag auf Twitter: ein Klimapflichtjahr für „Boomer“. Vielleicht würde es tatsächlich manchem älteren Herrn helfen, sich von seinem 6-Zylinder-Diesel zu verabschieden, wenn er einmal massenhaft Borkenkäfer-Opfer aus fränkischen Wäldern bergen durfte.

Das Ziel von Steinmeiers Vorschlag ist es, die Leute „aus der eigenen Blase“ zu holen. Das würde gerade denen guttun, die es sich darin über lange Zeit zu gemütlich gemacht haben. Lisa Schneider

Romantisch und ohne Zweck

Zivildienst auf einer ostfriesischen Insel, Strandkorbzeit, eine lauwarme Nacht am Meer. Wir sitzen zusammen ums Feuer, wir trinken, die Pfleger, die Zivis und die Schwesternschülerinnen des Krankenhauses, in dem ich arbeite. Noch kennen wir uns nur vage, haben keine Namen zu den Gesichtern. Die Insel ist klein, die Welt groß und das Leben ein Spiel. Endlich Zeit für die ersten ernsthaften Versuche der Selbstfindung. Irgendwann erhebe ich mich und richte Worte an die Runde: „Hedwig, du bist das Dümmste, was mir je zwischen Bayern und Flensburg begegnet ist!“ Warum sage ich das? Ich kenne keine Hedwig, wahrscheinlich ein Zitat.

Wochen später befiel mich eine Inselkrankheit, ein Magen-Darm-Infekt. Ich schleppte mich in die Notaufnahme und flehte um Verschonung. Die einzige Nachtschwester, die Dienst hatte, beugte sich über mich, schaute mir in die Augen und fragte: „Wie hast du mich genannt?“ Natürlich hieß sie Hedwig, sie saß damals wohl auch in einem der Strandkörbe, und jetzt lernten wir uns auf die denkbar gerechteste Weise kennen.

Was ich hier versuche, mit einer halbgaren Kneipenanekdote zu erzählen, ist: Mein Zivildienst war eine romantische Zeit, denn ich verfolgte mit ihm keinen Zweck. Fünfzehn verordnete Monate, in denen ich mich frei fühlte. Diese Zeit hatte nichts mit mir zu tun, wie der Satz, der damals aus mir heraus sprach, nichts mit mir zu tun hatte. Oder mit Hedwig, aber das hatte sie echt nicht wissen können. Mathias Königschulte

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