die taz vor zehn jahren berichtet über lebenskünstler in billiglohn-country:
Hans Peter Stihl, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), hat einen immer wiederkehrenden Wunschtraum. „Wir brauchen“, sagt er, „wieder die Möglichkeit, geringerwertige Arbeit auch geringer bezahlen zu können.“ Stihls Traum ist längst Wirklichkeit. Millionen von Beschäftigten arbeiten bereits zu Niedriglöhnen. „Der Markt wird immer weiter nach unten ausgequetscht“, stellt Reinhard Dombre fest, für Tarife zuständiger Referatsleiter beim Deutschen Gewerkschaftsbund.
Nicht nur Schwarzarbeit und Leiharbeit führen zum Lohndumping. Auch mit tariflichen Mindestlöhnen werden arbeitsame Ungelernte an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. „Wir haben schon Einkommen, wo man sich wirklich fragen muß, ob es sich lohnt, überhaupt noch zu arbeiten“, sagt Dombre. Immerhin 5,8 Millionen, also fast ein Viertel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Westdeutschland, haben keine Berufsausbildung (im Osten gibt es keine Vergleichszahlen). Diese Ungelernten laufen Gefahr, zeit ihres Lebens in den unteren Lohngruppen hängenzubleiben.
Besonders gefährdet: Frauen im Dienstleistungssektor. Auffüllerinnen und Etikettiererinnen in Supermärkten, Küchenhilfen und Spülerinnen in der Gastronomie müssen auch im Westen häufig mit Nettomonatseinkommen von unter 1.500 Mark auskommen. „Wir nehmen meist gar nicht wahr, wie viele Lebenskünstler es unter uns gibt“, sagt Gerhard Gerlach, Tarifsekretär bei der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) in Düsseldorf.
Auch die tarifliche Mindestbezahlung richtet sich nach dem Markt. So müssen sich die Gewerkschaften beispielsweise im wirtschaftlich schwierigen Saarland mit geringeren Tarifen zufriedengeben als im stabileren Baden-Württemberg. Von den östlichen Bundesländern ganz zu schweigen. Selbst in den untersten Lohngruppen versuchen die Arbeitgeber noch, Personalkosten zu senken.
Barbara Dribbusch, 25. 6. 1994
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