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Gesunde Menschen durch gesunde Wälder

Der Wald ist nicht nur unverzichtbar für ein intaktes Klima. Ausflüge in den Wald sind Studien zufolge auch gut für Körper und Psyche

Von Michael Schlegel

Stell dir vor, du machst einen Spaziergang im Wald. Du läufst barfuß über den weichen Moosboden, hörst die Blätter der Baumkronen hoch oben im Wind rascheln, hast den Geruch der feuchten Walderde in der Nase und den Gesang der Vögel im Ohr. Beruhigende Vorstellung, oder?

Tatsächlich sind Wälder nicht nur förderlich für die planetare, sondern auch für die menschliche Gesundheit: Metaanalysen verschiedener Studien zum Thema bestätigen, dass Ausflüge in den Wald Stress reduzieren, das Wohlbefinden fördern und Blutdruck senken. Forschung aus Japan soll darüber hinaus darauf hindeuten, dass Waldbaden das Immunsystem stärkt und sogar Krebs vorbeugen kann.

In Japan ist das Waldbaden oder Shinrin-Yoku, wie es auf Japanisch heißt, schon seit Beginn der 1980er Jahre für seine positiven Wirkungen bekannt. Auch hier in Deutschland erkennen Ärzte und Forscherinnen die therapeutischen Potenziale des Waldes und nehmen sich die Ansätze aus Japan zum Vorbild. Einer von ihnen ist Professor Andreas Michalsen, Chefarzt der Abteilung für Naturheilkunde der Charité in Berlin.

„Bis jetzt gibt es in Deutschland noch keine Struktur, innerhalb der man Menschen mit einem Rezept in den Wald schicken kann“, sagt er. Michalsen will das ändern und dazu beitragen, die wissenschaftliche Grundlage dafür zu schaffen, das Waldbaden auch in Deutschland zu etablieren. „Die Evidenz aus dem asiatischen Raum kann man nicht eins zu eins übertragen. Dort sind die Menschen und die Wälder anders“, so Micha­lsen.

Weniger Herzprobleme?

Deshalb führt er derzeit am Wannsee in Berlin mehrere randomisierte Studien durch, deren ersten Ergebnisse im Laufe des Jahres erscheinen sollen. Eine davon untersucht die Effekte des Waldbadens auf Menschen mit metabolischem Syndrom, also mit Übergewicht und anderen Risikofaktoren für das Herz-Kreislauf-System wie Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen.

Es gebe bereits großes Interesse von Krankenkassen und Pa­ti­en­t:in­nen an Waldtherapien, sagt Michalsen. Bis man sich hierzulande Waldbaden vom Arzt verschreiben lassen kann, könnte es allerdings noch eine Weile dauern. „Wir haben in Deutschland einen relativ langen bürokratischen Prozess“, meint Michalsen.

Er möchte die gesundheitsfördernden Wirkungen des Waldes in die Breite tragen. Man könne die Natur sogar in geringer Dosis in seinen Alltag integrieren, auch wenn man nicht die Möglichkeit hat, regelmäßig in den Wald zu gehen. „Es klingt vielleicht ein bisschen komisch, aber eine Naturtapete, ein Kaminfeuer im Fernseher, Zedernöle oder Topfpflanzen haben auch schon eine Wirkung“, so Michalsen.

Eigentlich ist der menschliche Naturfetisch ja völlig logisch: Trotz aller zivilisatorischen Fortschritte entstammen wir der Natur, sie ist nach wie vor unsere Lebensgrundlage und wir sind somit, auch wenn wir das vielleicht manchmal vergessen oder verdrängen mögen, immer noch ein Teil von ihr. Unsere archaische DNA ist auf Wiesen und Wälder und nicht auf Altbauwohnungen und Großraumbüros programmiert. Der Soziologe Edward O. Wilson vertrat diese Annahme und nannte das Phänomen „Biophilie“.

Wenn Brände und andere Folgen des Klimawandels dem Wald weiterhin zusetzen, dann wirft der Verlust wichtiger Kohlenstoffsenken uns also dieser Annahme folgend nicht nur im Kampf gegen die Klima­krise weiter zurück und es gehen nicht nur gesundheitsfördernde Naherholungsgebiete verloren. Sondern dann zerstören wir in gewisser Weise auch unser Ur-Zuhause und seine Geborgenheit gleich mit ihm.

Waldbrände nehmen zu

Laut Schätzungen des EU-Waldbrandinformationsdienstes brannten in Deutschland 2022 bereits 4.028 Hektar Waldfläche. Das wäre schon jetzt mehr als 2019, 2020 und 2021 zusammen und auch mehr als 2018, als 3.622 Hektar Wald brannten.

Ausgerechnet im Grunewald, in der Nähe vom Wannsee, wo Andreas Michalsen seine Waldtherapie-Studien durchführt, entzündete sich letzte Woche am Donnerstagmorgen ein Waldbrand auf einem Sprengplatz der Berliner Polizei.

Michalsen beschäftigt die Zerstörung der Wälder. Er versucht, Gewahrsam für diesen Aspekt der Naturerfahrung in seine Waldtherapien einfließen zu lassen. „Vor ein paar Jahren war das einfacher“, sagt er. „Da konnte man die Natur noch verklären.“

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