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Gründerprojekt an der Uni HannoverPapier aus Ananas

Stu­den­t:in­nen haben ein Verfahren entwickelt, um aus Ananasresten Zellulose zu gewinnen. Das könnte die Papierproduktion revolutionieren.

Die Pflanzenreste, die nach der Ananas­ernte auf dem Acker verbleiben, können als Rohstoff für die Papier­produktion dienen Foto: mauritius

„Jürgen“ haben Merit Ulmer und das Team von eco:­fibr den Forschungsreaktor am Institut für Technische Chemie an der Leibniz Universität Hannover getauft. Ohne den runden, auf Rollen montierten Edelstahlkessel mit dem funkelnden Ablasshahn wäre es kaum möglich gewesen, Zellstoff in größerem Rahmen aus Ananasresten zu gewinnen. „Für uns war der Kauf des Reaktors durch die Uni ein Meilenstein.

Erst mit Jürgen konnten wir größere Mengen an Zellstoff aus Ananasresten gewinnen“, erinnert sich Ulmer. Das sei nötig gewesen, um bei potenziellen Kooperationspartnern vorstellig zu werden. „Bis dahin haben wir Ananasreste in großen Bechergläsern auf Heizplatten erhitzt, so mühevoll in Handarbeit die ersten Zellulosefasern gewonnen – Kleinstmengen“, erinnert sich Merit Ulmer lachend.

Von Beginn an ist Ulmer bei dem Studentenprojekt, das zur eco:­fibr GmbH mutiert ist, dabei. Im Januar hat die 25-Jährige ihren Master in Life Science gemacht, nun arbeitet sie gemeinsam mit Julian Kolbeck und Michelle Spitzer in Vollzeit an dem Projekt, welches die Papierindustrie revolutionieren könnte: der Gewinnung von Zellulose aus Ananasabfällen.

Das ist realistisch, denn die ehemaligen Stu­den­t:In­nen haben ein Verfahren entwickelt, womit sich die Zellulose nicht nur ohne den Einsatz von Schwefel- und Chlorverbindungen aus den Ananasresten extrahieren lässt, sondern sie haben auch bewiesen, dass der Rohstoff es mit dem aus Bäumen gewonnen Pendant aufnehmen kann.

Die blutsaugende Fliege

Das belegt nicht nur das Interesse von Papierunternehmen wie der Hahnemühle, einem High-End-Papieranbieter, sondern auch das zweite Stipendium, das die engagierten Nach­wuchswis­sen­schaft­ler:innen binnen zwei Jahren erhalten haben: das Exist-Gründerstipendium. Mit 133.500 Euro ist es dotiert und soll dem Trio aus Merit Ulmer, Michelle Spitzer und Julian Kolbeck, zu denen alsbald noch Niklas Tegtmeier stößt, ermöglichen, ihr Verfahren so weit zu optimieren, dass es im industriellen Maßstab zur Anwendung kommen kann.

Dafür stehen die Chancen nicht schlecht, denn die Kontakte zur Industrie und nach Costa Rica sind da. Das mittelamerikanische Land ist Weltmarktführer beim Ananasexport, baut die süße Frucht mit der stacheligen Krone laut dem Branchenverband Canapep auf mindestens 40.000 Hektar an. Dabei fallen jedes Jahr rund 4,5 Millionen Tonnen Pflanzenreste an, die abgebrannt oder untergepflügt werden, um die Ausbreitung der Stechfliege Cochinilla zu unterbinden.

Die blutsaugende Fliege (Stomoxys calcitrans) ist rund um die Ananasplantagen in der Region von Upala, Sarapiquí oder Grecia verbreitet, ein Fluch für Rinderhalter der Region. Deren Tiere litten unter dem Insekt, brachten weniger Erträge, und das lästige Insekt konnte sich lange in den verrottenden, mit Wasser vollgesogenen Ananasstrünken auf den Feldern vermehren.

Damit ist zwar Schluss, aber für die Ananasbauern ist die Entsorgung der Pflanzenreste kostspielig. Mit rund 2.000 US-Dollar pro Hektar schlagen sie bei Visa, einem familiengeführten Ananasbetrieb in Pital, im Norden des Landes, zu Buche. Geld, welches das Unternehmen gern einsparen würde, und deshalb kooperieren sie mit eco:fibr, um aus den Ananasresten alsbald Zellstoff zu produzieren.

Das ist die Perspektive, an der in Hannover an der Leibniz Universität fieberhaft gearbeitet wird. Dort befindet sich die Zentrale von eco:fibr. Ein Aufsteller mit dem Firmenlogo und eine Ananaspflanze, die neben den Arbeitsplätzen von Merit Ulmer und Julian Kolbeck stehen, zeugen davon.

Pilotanlage notwendig

Ulmer war schon 2017 dabei, als eine Dozentin die Stu­den­t:in­nen auf die enorme Menge an Bioabfällen aus der Bananenindustrie aufmerksam machte. „Damals entstand die Idee der Zellstoffextraktion unter den beteiligten Enactus-Studenten“, erinnert sich Ulmer. Enactus ist eine weltweit aktive Studenteninitiative, die sich für soziale Innovationen engagiert und so einen Beitrag zur Verwirklichung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen leistet.

Beim ersten Besuch 2018 in Costa Rica platzte die Anfangsidee. „Wir haben schnell begriffen, dass aussortierte Bananen verfüttert werden und sich die Schalen und Stauden relativ einfach kompostieren lassen. Doch vor Ort wurden wir auf die Problematik rund um die Ananas hingewiesen“, erinnert sich Ulmer, die mittlerweile dreimal in Costa Rica war.

Dort soll die erste industrielle Anlage für die Produktion von Zellstoff aus Ananasresten entstehen, und spätestens 2026 will das Quartett hinter eco:­fibr sie einweihen. Bis dahin bleibt allerdings noch viel zu tun, denn erst einmal muss das Verfahren, das die engagierten Stu­den­t:in­nen neben dem Studium im Labor entwickelten, für die Produktion auf größeren Anlagen optimiert werden. Dafür benötigt das Start-up einen Reaktor mit einem Fassungsvermögen von fünf- bis siebentausend Litern, um darin Zellulose en gros aus Pflanzenresten zu produzieren.

„Das ist eine Zwischengröße, quasi eine Übergangsgröße vom Labor in die industrielle Produktion. Genau so eine Pilotanlage benötigen wir, um das Verfahren für den industriellen Maßstab zu optimieren. Das ist die Grundlage, um den Bau der ersten industriellen Anlage in Costa Rica zu planen“, erklärt Julian Kolbeck die laufenden Planungen. Kolbeck hat seinen Master in Maschinenbau im November 2021 abgeschlossen.

Spätestens 2026 soll die stehen und 30-40.000 Tonnen Zellstoff im Jahr aus Ananasresten produzieren, ergänzt Ulmer. Der Rohstoff soll den derzeitigen Planungen zufolge dann in Deutschland zu Papier, vielleicht auch zu Pappe und Co. verarbeitet werden. Das Interesse aus der Industrie ist da. Mehrere Unternehmen sind auf die kreativen Stu­den­t:in­nen und ihr Verfahren aufmerksam geworden. Eine Katalysator-Funktion hatte dabei Professor Thomas Scheper vom Zentrum für Angewandte Chemie der Leibniz Universität. Er, mittlerweile emeritiert, sorgte für Laborplätze, schaffte Jürgen, an, den 150-Liter-Reaktor für die Extraktion von Zellulose aus Ananasresten, und half mit Tipps bei Stipendien und Co. 2020 erhielten die damals noch Studierenden ein Gründungsstipendium der niedersächsischen Landesregierung. Das diente als finanzielles Sprungbrett für die mittlerweile gegründete eco:­fib­r GmbH und sorgte dafür, dass die Gruppe und ihr innovatives Verfahren in der Branche bekannt wurde.

Das bietet eine ganze Reihe von Vorteilen: Ananasblätter enthalten deutlich weniger Lignin, die Substanz, die den Holzfasern ihre Festigkeit gibt, als Bäume. Lignin muss in einem chemischen Verfahren unter Druck mit Natriumsulfid, Natriumsulfat und Natronlauge von der Zellulose abgespalten werden. „Das entfällt bei unserem Verfahren, es kommt ohne Schwefel und Chlor aus. Wir verfolgen einen Kreislauf-Ansatz, wollen unser Abwasser komplett reinigen und alle Komponenten, soweit möglich, wiederverwenden“, umreißt Ulmer den revolutionären Ansatz vorsichtig.

Das hat seinen Grund, denn bisher ist er nicht patentgeschützt. Daran arbeitet das Team von eco:­fibr parallel zur Optimierung des Verfahrens für die industrielle Produktion. Die grüne Revolution im Papiersektor braucht Zeit, aber sie kommt voran.

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4 Kommentare

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  • Ist Biogas nicht einfacher, weniger komplex herstellbar und wird vor Ort mehr gebraucht?

  • Wikipedia meldet ca. 415 Mio. Jahrestonnen Papierproduktion weltweit. Ca. 27 Mio. Jahrestonnen Ananas weltweit. Da wäre es interessant zu wissen, welche verwertbaren Abfallmengen bei der Ananasproduktion anfallen und ob das eine relevante Menge ist.



    Über die Menge Ananas bin ich überrascht. Ich hatte gedacht, das würde bestenfalls ein Nischenprodukt werden, wenn man daraus Papier fertigen will.

  • Ist ja toll!

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Solange Brasilien nicht auf die Idee kommt, weitere Urwaldflächen für den Ananasanbeu zu roden, soll es mir recht sein.



    Immer auch beide Seiten der Medaille anschauen.