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Expansion von Russland, China, SerbienDer Unruhesommer 2022

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Im Krieg Russland–Ukraine ist kein Ende in Sicht. Dafür findet er Nachahmer in den Konflikten China–Taiwan und Serbien–Kosovo.

Der Sommer 2022 ist besonders stürmisch, und das nicht nur wegen des andauernden russischen Krieges in der Ukraine Foto: Maciek Musialek/Imago

S ommerzeit ist Unruhezeit. Der Erste Weltkrieg begann am 28. Juli 1914 mit der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, der Zweite Weltkrieg am 1. September 1939 mit Deutschlands Einmarsch in Polen. In den August fallen Iraks Überfall auf Kuwait 1990 und Russlands Einmarsch in Georgien 2008. Jedes Mal hielt eine sich stark fühlende Macht den Zeitpunkt für geboten, einen Nachbarn zu zertreten.

Der Sommer 2022 ist besonders stürmisch, und das nicht nur wegen des andauernden russischen Krieges in der Ukraine. In der Nacht zum 1. August gerieten Serbien und Kosovo an den Rand einer bewaffneten Auseinandersetzung: Es gab Schüsse an der Grenze, Serbiens Präsident Vučić ließ Truppen aufmarschieren und rief in einer Rede: „Serbien wird siegen“, Grund war eine neue kosovarische Einreiseregel. Am 2. August drohte China gegenüber Taiwan mit militärischer Gewalt und hält seitdem Manöver ab, bei denen Kriegsschiffe vor Taiwans Küste steuern und Raketen über die Insel fliegen – Grund war der Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi, Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses.

Noch sind daraus keine offenen Kriege geworden wie Russland – Ukraine, aber die Muskelspiele vor allem in Peking ähneln denen in Moskau vor dem Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar. Und in der Wahrnehmung der Beteiligten hängen alle Konflikte zusammen. Taiwanesen begrüßten Pelosi mit Coronaschutzmasken in Blau-Gelb, den ukrainischen Nationalfarben. Serbische Soldaten an der Grenze zu Kosovo trugen Helme mit aufgemaltem Z, das Symbol der russischen Aggression in der Ukraine. Russlands Regierung hat sich öffentlich hinter China und Serbien gestellt.

Von Stellvertreterkriegen kann man nicht sprechen, denn jeder Gewaltakteur handelt autonom. Es sind Verbündete. Aber auch wieder nicht verbündet genug, damit Entspannung an einer Front auch die anderen befrieden könnte. Zu beobachten ist eine blutige Mimikry der Gewaltanwendung quer um den Globus, in der scheinbarer Erfolg Nachahmern als Vorbild dient.

„Heim ins Reich“

Das geht weit über die Konflikte Russland gegen Ukraine, China gegen Taiwan und Serbien gegen Kosovo hinaus, aber diese drei Konflikte haben etwas gemeinsam. Ukraine, Taiwan und Kosovo werden sämtlich von den großen Nachbarn nicht als souveräne Staaten anerkannt, sie sollen geschluckt werden, „heim ins Reich“ sozusagen. Russland, China und Serbien werden von Revanchisten regiert, die verlorene Territorien zurückholen wollen und dies zu ihrem Lebenswerk erklärt haben; sie mobilisieren einen aggressiven Nationalismus, der der eigenen Nation eine besondere Einzigartigkeit zuschreibt. Sollte dies auch nur in einem einzigen der drei Fälle Erfolg haben, würde es die anderen beiden erst recht ermutigen und wohl auch zahlreiche andere auf der Welt, von deren Revanchegelüsten man noch gar nichts weiß.

Zu beobachten ist eine blutige Mimikry der Gewalt quer um den Globus

Weltweit schlummern ungelöste Konflikte um Grenzen und Territorien, um Selbstbestimmung und Zugehörigkeit. Man kann sie reaktivieren oder notfalls erfinden. Definieren, wer Freund ist und wer Feind; diese Definition anderen aufzwingen und am Ende den Feind vernichten – das ist das ursprüngliche Wesen von Herrschaft. Wer das einmal geschafft hat, macht immer weiter, schürt neuen Hass und neuen Stolz und schafft neue Abhängigkeiten, um die eigene Legitimität zu bewahren. Das begründet Herrschaft von Dauer, ganz anders als der permanente institutionalisierte Selbstzweifel moderner Demokratien.

Damit diese archaische Herrschaftsform, in der sich Russland und China gerade einrichten, nicht die Zukunft der ganzen Welt darstellt, ist Beistand für die Ukraine, Taiwan und Kosovo überlebenswichtig für die Menschheit. Doch zugleich wollen immer mehr Mächtige des sogenannten „freien Westens“ Teil dieser düsteren neuen Welt von Putin und Xi werden. Im September könnten die Neofaschisten in Italien an die Macht kommen, im Oktober Netan­jahus Rechte in Israel zurückkehren und im November Trump-Republikaner die US-­Kongresswahlen gewinnen. Der Unruhesommer 2022 bringt einen Vorgeschmack darauf, was der Welt dann blühen könnte.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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