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Stöckelschuhe können mehr als klappern

PROSTITUTION Auf dem “Sex Arbeit Film Fest“ werden vom 8. bis 10. Juni im Hamburger Centro Sociale 25 Filme gezeigt, die als Porträts, Dokumentationen und Interviews über Leben, Alltag, Diskriminierung und Selbstorganisation von SexarbeiterInnen informieren

VON KENDRA ECKHORST

„Es ist eine Reise, die knapp 40 Jahre andauert“ erzählt Christina Schäfer über den Film „Power to the sisters“ des Kollektivs Micropunta. In einem schönen Rhythmus und mit historischen Originalaufnahmen wandern die Filmerinnen von Italien über Frankreich nach Großbritannien und untersuchen das Verhältnis von Gesellschaft und Prostitution. Mehr noch, sie spannen einen Bogen über Orte, Zeiten und Widerstandspraktiken der westlichen Hurenbewegung hinweg und nehmen als Ausgangspunkt die Kirchenbesetzung in Lyon mit hundert Prostituierten, die am 2. Juni 1975 auf ihren schwierigen rechtlichen Status und die elenden Arbeitsbedingungen aufmerksam machten. Im folgenden Jahr gilt das Datum, zumindest inoffiziell, schon als internationaler Hurentag und die zeitliche Nähe zum diesjährigen Gedenktag ist wohlweislich ausgesucht für das Sex Arbeit Film Fest, das vom 8. bis 10. Juni im Hamburger Centro Sociale seine Leinwand aufhängt.

„Eine erste Idee bekamen wir auf dem Transgender Filmfestival in Amsterdam vor ein paar Jahren“, erklärt Schäfer, eine der beiden Organisatorinnen und Aktivistin des Kultur- und Medienzentrums für Frauen „Bildwechsel“. Den letzten Ausschlag gab die reale politische Situation, wie sie sich derzeit in St. Georg in Kontaktanbahnungsverboten, Kleidervorschriften und Auslagern der Arbeitsplätze in Gewerbegebiete zeigt. Eine neuerliche Diskriminierung, der sie mit dem Festival begegnen wollen. Sie legen den Fokus auf eigene Sichtweisen und Standpunkte und sammelten die Filme verstärkt bei Aktivisten und Professionellen ein. Sie wollen Bilder aufmachen, die Sexarbeiterinnen, Mitarbeiterinnen von Begleitservices oder Callboys jenseits von verruchtem Glamour oder Opfersein zeigen.

In Porträts, Dokumentationen und Interviews stellen die 25 Filme Leben, Alltag, Diskriminierungen und Selbstorganisierung der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter vor. Ob weiblich, männlich oder trans, sie alle kämpfen für ihre Anerkennung, für Arbeits- und Menschenrechte wie beispielsweise der honduranische Film „Auf meinen Highheels“ zeigt. Der hierzulande wenig bekannte Miltärputsch von 2009 verschärfte die Lebensbedingungen transsexueller Menschen, Hassverbrechen, Morde und religiöse Anfeindungen nahmen zu. Wie diese Sexarbeiterinnen sich zur Wehr setzen, politisieren und gegen das Regime protestieren, zeigt Fernando Reyes, einer der Filmemacher.

Als weiterer Gast wird unter anderem David Fonjallaz am Freitag Rede und Antwort zu seinem Film „Frau Mercedes - Alt werden auf dem Autostrich“ stehen. Nicht nur ein Porträt über das Aussterben des Autostrichs bannt er auf die Leinwand sondern auch ein vielschichtiges Bild der alt gewordenen Sexarbeiterin Sylvia Leiser, die mühsam mit ihrem Mercedes ihr Auskommen sucht und gegen die modernen Formen der Sexarbeit in Netz und Modellwohnung ihr Nachsehen hat.

Einen gänzlich neuen Aspekt projeziert „We are foot soldiers“ auf das Thema. Diese Dokumentation von Debolina Dutta und Oishik Sircar erzählt die Geschichte des Zusammenschlusses „Amra Padatik“. Hier setzen sich die zumeist jugendlichen Kinder von Sexarbeiterinnen aus Kalkutta gegen ihre Ausgrenzung zur Wehr und verwahren sich gegen die stereotypen Bilder von Elend und Verfall.

Was Weiterbildung in der Sexarbeitsszene bedeutet, zeigt die Dokumentation der „Sex Worker Open University“ aus London, einer Veranstaltung, die seit 2009 jährlich zwischen Vorlesesaal und Straße Orte des Austauschs und auch der feministischen Politik bietet. Weiter basteln Vertreterinnen von Hydra, der autonomen Hurenorganisation aus Berlin, eine flimmernde Arbeitsberatung in die Kino-Ecke und beleuchten rechtliche, gesundheitliche und steuerliche Fragen. Neben diesen konkreten Problemen setzt sich Hydra auch für eine realistische und selbstbestimmte Wahrnehmung der Sexarbeit ein und organisiert seit einigen Jahren das Sex Worker Filmfestival in Berlin. Aus ihrer Geschichte und ihren Kämpfen um Selbstdefinition werden sie am Samstag in einem eigenen Workshop erzählen. Starke, politische, lebendige und manchmal auch traurige Bildergeschichten hat das Festivalteam zusammen getragen, in denen es laut Schäfer „unglaublich tolle Protagonistinnen“ und Aktivisten kennen zu lernen gibt.

Mehr unter: http://saff.ilovebildwechsel.org/programme/ Die Filme laufen im Centro Sociale, Sternstraße 2, Hamburg

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