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DVDESKLiebe in Zeiten des Krieges

„Le Train“ (F 1973, Regie: Pierre Granier-Deferre), ab 9 Euro im Handel

Zu Beginn des deutschen Einmarschs in Frankreich im Jahr 1940 werden die Bewohner eines Städtchens an der belgischen Grenze mit dem Zug evakuiert. Unter ihnen ist Julien Maroyeur (Jean-Louis Trintignant), Radiomechaniker, wegen schwerer Kurzsichtigkeit nicht in der Armee. Seine schwangere Frau darf ins Erste-Klasse-Abteil, er selbst landet in einem Viehwagen am Ende des Zugs. Später werden die Zugteile voneinander getrennt. Fast den ganzen Film über sehen sich die beiden nicht wieder, erzählt wird allein seine Geschichte.

Die Evakuation, der fahrende Zug, eine Gruppe von Fremden, die Lebensgefahr durch die vorrückende und aus der Luft bombardierende Wehrmacht – all das versetzt die im hinteren Wagen des Zugs Versammelten in einen Ausnahmezustand. Man redet nicht viel, es kommt zu Aggressionen, man spielt Torero und Stier, ein lebenslustiges Paar hat mitten unter den anderen Sex.

Eine junge Frau (Anne Wiazemsky) und ihr Baby, wer der Vater ist, weiß sie nicht: Drei kommen in Frage, keinem ähnelt das Kind. Und dann ist da Anna (Romy Schneider), die geheimnisvolle Frau mit dem deutschen Akzent.

Unterschiedliches Material

Der Radiomechaniker Maroyeur und Anna kommen sich näher im fahrenden Zug. Mit dem liebenden Blick Juliens gleitet die Kamera in einer Großaufnahme über Annas Gesicht im Profil. Draußen ziehen schöne und verlassene Landschaften vorbei. Zwischen die Spielszenen in Farbe sind dokumentarische Schwarzweißaufnahmen des Krieges geschnitten, rollende Panzer, detonierende Bomben, Menschen auf der Flucht. Mit großer Selbstverständlichkeit verbindet Regisseur Pierre Granier-Deferre das unterschiedliche Material. Dort, wo die Bilder der Geschichte in die der Fiktion übergehen, wird sanft vom Schwarzweißen zur Farbe geblendet. In den Szenen des Kriegs hört man aufgepeitschte Musik von Philippe Sarde. Im scheinbaren Frieden der Zugfahrt gewinnt sie den von Sarde vertrauten Geigenschmelz zurück. Man nimmt dem Film die Sehnsuchtsmusik aber nicht übel.

Ein Moment sticht aus der einfachen Ordnung der Zeichen heraus. Mit ihm beginnt das letzte Drittel des Films. Anna und Julien sind jetzt ein Paar, in der Nacht während der Fahrt haben sie drinnen miteinander geschlafen. Draußen am Brunnen beim Waschen hatte Julien das unnachahmliche Grinsen von Jean-Louis Trintignant im Gesicht, vor Glück, vor Stolz, er hat kein schlechtes Gewissen, er liebt das Geheimnis, die Trauer, er liebt diese Frau, und keiner kann es ihm beim Anblick von Romy Schneider verdenken. Im Moment, der heraussticht, ist Trubel im Wagen, lautes Lachen und Spielen. Nun kommen andere Dokumentaraufnahmen dazwischen. Man sieht Goebbels und Hitler, andere Nazischergen, alle ebenfalls heiterster Stimmung: Auch Hitler lacht. Jetzt aber gibt es keine sanfte Blende vom Schwarzweißen zur Farbe, sondern einen ganz scharfen Schnitt. Der Zug wird aus der Luft beschossen, die Kugeln mähen die Feiernden nieder, viele werden getroffen, auch die Frau mit dem Baby ist tot. Schön wie Anne Wiazemsky, ein Einschussloch in der Schläfe.

„Le Train“ ist als Film gerade in seiner verlässlichen Handwerklichkeit schön. Man spürt Georges Simenon, der die Vorlage schrieb, im ausdrücklich Profanen – zwei Frauen sterben zum Beispiel bei einem Luftangriff beim Pinkeln im Feld – ebenso wie im nüchternen Existenzialismus. Die Stars sind in ihren Rollen die Stars, die sie sind; gerade darum müssen sie übers Sosein hinaus gar nicht viel tun. Romy Schneider und Jean-Louis Trintignant sitzen, stehen, lieben und blicken. Und am Ende – über das man nichts sagen sollte, außer dass es enorm ist – brechen sie einem das Herz. EKKEHARD KNÖRER

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