piwik no script img

Buch über „Treiber des Autoritären“Sie entleeren die Demokratie

Wilhelm Heitmeyer und Günter Frankenberg beleuchten in einem Sammelband die „Treiber des Autoritären“. Alarmismus liegt ihnen fern.

Bei Trump-Fans gehen mediale Unterhaltung und rechtsautoritäre Politikvorstellungen gut zusammen Foto: David Alonso/nordphoto/imago

Mit dem Aufstieg des neuen (oder gar nicht so neuen) Rechtsradikalismus ist der Bedarf nach Ursachenforschung gestiegen. Einer der scharfsinnigsten Analytiker ist dabei der Bielefelder Soziologie Wilhelm Heitmeyer. Er untersucht die Anfälligkeit für die „autoritäre Versuchung“ seit Jahrzehnten mit großangelegten empirischen Studien und einem ganzen Arsenal von treffenden Begriffsbildungen.

Dabei beobachtet er, wie die Zunahme autoritär nationalradikaler Einstellungen mit einer „Erosion der Demokratiequalität“, sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Desintegration zusammenhängt: Die Deregulierungen der „entsicherten Jahrzehnte“ mit ihren Folgen des individuell und kollektiv erlebten Kontrollverlusts und der „Demokratie-Entleerung“ bieten rechtsextremen Bewegungen günstige Voraussetzungen.

Jetzt hat Heitmeyer gemeinsam mit dem Verfassungsrechtler Günter Frankenberg einen Sammelband herausgegeben, in dem ein gutes Dutzend Wis­sen­schaft­le­r:in­nen unterschiedlicher Fachdisziplinen die politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen „Treiber des Autoritären“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts untersuchen.

Bemüht um begriffliche Präzision und fast immer unter dezidiertem Verzicht auf Alarmismus entwickeln die Au­to­r:in­nen eine mehrdimensionale Analyse des politischen Autoritarismus. Sie reicht von der „autoritären Systemkonkurrenz“ und repressiver Staatlichkeit über autoritäre Aufwallungen eines „radikalisierten Konservatismus“ (Natascha Strobl) bis zum Zusammenhang von „medialer Unterhaltung und rechtsautoritären Politikvorstellungen“ am Beispiel enthemmter Trump-Anhänger und des Sturms auf das Kapitol (Paula Diehl).

Phantasma des kulturell „Eigenen“

Der Industriesoziologe Klaus Dörre zeichnet vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges das große Panorama der „Zangenkrise“, in dem die ökologische Krise und ein Kapitalismus, der zur „Pazifizierung interner Konflikte“ auf Wirtschaftswachstum angewiesen ist, auf den Kollaps zusteuern. Allerdings ist irritierend, wie rasant Dörre alles mit allem verbindet. So gelingt ihm das Kunststück, im gleichen Absatz den Esoteriker Dieter Duhm und den Systemtheoretiker Dirk Baecker als Stichwortgeber seines Krisenszenarios zu bemühen.

Das Buch

Günter Frankenberg, Wilhelm Heitmeyer (Hg.): „Treiber des Autoritären. Pfade von Entwicklungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“. Campus Verlag, 532 Seiten, 45 Euro

Der Historiker Volker Weiß unternimmt ideengeschichtliche Tiefenbohrungen zu den Spengler-Lektüren der identitätspolitischen Neuen Rechten und ihrem Phantasma eines kulturell „Eigenen“. Der Theaterdramaturg Bernd Stegemann variiert seine schwer zu entkräftende These, linke Identitätspolitik trage mit den Paradoxien eines „strategischen Essentialismus“ und ihren Distinktionsmechanismen, dem Bewirtschaften des Ressentiments und der Blindheit für die ökonomischen Bedingungen gesellschaftlicher Teilhabe selbst zu autoritären Entwicklungen bei.

Die Beiträge des Sammelbandes verbindet eine zentrale Frage: „Gibt es eine Modernisierung des Autoritären?“, was die Au­to­r:in­nen aus unterschiedlichen Perspektiven bejahen. Als „Grunderzählung des Autoritären“ mit der Funktion, „kollektive Ängste zu schüren“, beschreiben die Herausgeber Vorstellungen einer bedrohten Ordnung, „das Zerstören von Hierarchien und Dominanzen, die Auflösung von Identitäten, der Opferstatus aufgrund des Agierens feindlicher Mächte im Inneren“.

Absolute Gegnerschaft zur liberalen Demokratie

Weil diese Sicht mit Dichotomien arbeitet, in denen sich das „wahre“ Volk gegen die liberalen Eliten wehren muss, lässt sie keinen Raum für Kompromisse. Das bedeutet in alter Carl-Schmitt-Tradition ein Denken im Freund-Feind-Schema. Ist erst mal absolute Gegnerschaft impliziert, kann es nur noch um die Vernichtung des Feindes, etwa der liberalen Demokratie, gehen. Das setzt bemühten Dialogversuchen („Mit Rechten reden“) gewisse Grenzen.

„Der Trend weltweiter Erosion der Demokratiequalität setzt sich ungebrochen fort“, konstatieren die Herausgeber in ihrem einleitenden Überblicksaufsatz. Derzeit leben mehr Menschen in autoritär regierten Staaten als in halbwegs funktionierenden Demokratien. In Deutschland bieten die einsetzende Rezession und wachsende soziale Ungleichheit rechtsextremen Bewegungen ideale Bedingungen, auch wenn sich die AfD momentan selbst zerlegt und beim Versuch, „rohe Bürgerlichkeit“ (Heitmeyer) mit offenem Rechtsextremismus zu verbünden, ins Stolpern gerät.

Die Vielschichtigkeit und die Themenbreite der hier vorgelegten Aufsätze, das wissenschaftliche Niveau wie der Mut zu zugespitzten Thesen machen den Sammelband zu einem Debattenbeitrag, der jede ernsthafte Diskussion der Ursachen für den Erfolg rechtsautoritärer Bewegungen begleiten wird.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Anhand dieser Zusammenfassung habe ich den starken Eindruck, auch diese Sammlung von Analysen, habe einen blinden Fleck.



    "Der Theaterdramaturg Bernd Stegemann variiert seine schwer zu entkräftende These, linke Identitätspolitik trage mit den Paradoxien eines „strategischen Essentialismus“ und ihren Distinktionsmechanismen, dem Bewirtschaften des Ressentiments und der Blindheit für die ökonomischen Bedingungen gesellschaftlicher Teilhabe selbst zu autoritären Entwicklungen bei."



    Wenn von linksliberaler Identitätspolitik die Rede sein würde, könnte ich (mit Einschränkungen) zustimmen. Linke Theorien wie die des warenproduzierenden Patriarchats sind jedoch wahrlich alles andere als blind gegenüber ökonomischen Bedingungen. Das Wort "identity politics" selbst stammt von Schwarzen Marxist:innen, die gegenüber dem Kapitalismus alles andere als blind waren und sind.



    Die linksliberale Theorie der Critical Whiteness hat diese linke Kritik abgeschwächt. Es seien Kulturen, die einander ausbeuten, heißt es da. Derweil müssen sich in einer linken Kulturkritik feministische, antirassistische und klassenkämpferische Motive zu einer Kritik der Arbeiteraristokratie verbinden.



    "Weil diese [die rechtsautoritäre] Sicht mit Dichotomien arbeitet, in denen sich das „wahre“ Volk gegen die liberalen Eliten wehren muss, lässt sie keinen Raum für Kompromisse."



    Weil allerdings Liberale die liberale Demokratie dichotomisch mit dem Autoritarismus entgegensetzen, lassen sie keinen Raum für Kritik (nicht in ihren Zeitungen und auch nicht in ihren Fernsehsendern).



    Die Mehrzahl der Erwerbstätigen hält sich den größten Teil ihres Lebens in einer Art liberaler Privatdiktatur auf, in der sie tun, was ihnen gesagt wird - und sie tun dies, weil sie durch das Privateigentum an den Produktionsmitteln zum Verkauf ihrer Arbeitskraft, d.h. ihrer Zeit, und zur Aufgabe ihrer freien Entscheidung ihre Arbeit betreffend gezwungen sind.



    Es ist an der Zeit, die Klassiker der Kritischen Theorie mal (wieder) zu lesen.