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Kein Fall für den Teampsychologen

Der 20-jährige Abwehrspieler Robert Huth führte gegen Brasilien wieder einmal sein ganzes Repertoire vor

NÜRNBERG taz ■ Der Name ist schon mal prima, auch wenn das „Huuuuuth“ gegen Ende der Partie ein wenig zaghafter klang als noch zu Beginn. Da hatten die Zuschauer in Nürnberg jede Ballberührung des Abwehrspielers Robert Huth mit der lang gezogenen Intonation seines Nachnamens gefeiert, selbst bei einer Kerze, die um ein Haar die Sonne vom Himmel geholt hätte. Nachdem der 20-Jährige in der 76. Minute das entscheidende Duell gegen Adriano verloren hatte, nachdem zuvor sein ebenfalls 20-jähriger Kollege Mertesacker das vorentscheidende Duell gegen Robinho verloren hatte, mochten einige Teile des Publikums nicht mehr mitwirken beim Hüthchenspiel, doch als Sündenbock taugte der Akteur vom FC Chelsea trotzdem nicht.

Das hatte sich bei diesem Confederations Cup schon im zweiten Spiel gezeigt. Heftig war Huth in den Medien für seine unglückliche Darbietung beim 4:3 gegen Australien kritisiert worden, so heftig, dass Bundestrainer Jürgen Klinsmann richtig böse wurde ob dieser „überzogenen“ Reaktionen. Manch anderer Spieler wäre im nächsten Match von den Zuschauern niedergemacht worden, nicht so Robert Huth. Den mögen sie einfach, wegen seines Namens und weil er trotz seiner kantigen Körperlichkeit offenbar Beschützerinstinkte weckt. Auch in Köln schallten die aus Chelsea importierten Huuuth-Rufe von Anbeginn durchs Stadion, Huth schien sie als eine Art akustische Kraftbrühe einzusaugen und gewann zunehmend an Sicherheit.

Nicht, dass er so etwas nötig hätte. Der in jungen Jahren von Union Berlin nach England ausgewanderte Fußballer gilt als psychisch überaus stabil. Das muss auch sein, wer bei Chelseas Millionentruppe mit Leuten wie Carvalho und Gallas um einen Platz in der Abwehr konkurriert und dennoch nicht den Klub wechseln will, wie vielfach angeraten. Nicht im Traum hatte Huth daran gedacht, nach dem Australienspiel die Hilfe des Teampsychologen in Anspruch zu nehmen, und nicht im Traum hatten die Trainer daran gedacht, ihn wegen der Belastung nicht aufzustellen. Seine Furchtlosigkeit ist es auch, die Chelsea-Trainer José Mourinho so imponiert, dass er ihn unbedingt behalten möchte. Huth kann er im Rückspiel gegen die Bayern ungerührt auf die wesensfremde Außenposition gegen Zé Roberto stellen, und der 20-Jährige wird auch nicht panisch, als der Brasilianer gleich mal an ihm vorbeirauscht wie an einer grünen Verkehrsampel. Huth scheut sich nicht, seinen Nationalmannschaftskapitän Ballack gröblich anzuraunzen, als dessen Schwalbe im Hinspiel gegen Chelsea einen späten Elfmeter für Bayern bringt. Huth kann von Mourinho in den letzten Minuten des Spiels gegen Barcelona eingewechselt werden und befördert fortan jeden Ball, der in den Strafraum kommt, mindestens zurück bis zur Mittellinie. Und Huth schafft fast noch die Wende, als ihn Mourinho am Ende des Halbfinales gegen Liverpool als Mittelstürmer bringt.

Beim DFB hatte man den jungen Bursche lange etwas vernachlässigt. Obwohl er bereits für Chelsea in der Champions League gespielt hatte, steckte man ihn letztes Jahr in die U19-Auswahl – und nach Portugal fuhr Rudi Völler lieber mit Wörns und Nowotny. Die aktuellen Auftritte zeigen allerdings, dass Robert Huth vor Jahresfrist bei der EM wohl noch keine große Hilfe für das Team gewesen wäre. Auch gegen Brasilien führte er sein ganzes Repertoire vor. Zahlreiche souverän gewonnene Zweikämpfe und Laufduelle gegen Robinho und Adriano, dann der dumme Schubser gegen Adriano, der zum Elfmeter führte. Danach verhakte er sich im gegnerischen Strafraum geschickt mit Roque Junior und bekam selbst einen Elfmeter zugesprochen, am Ende das verlorene Duell mit Adriano. „Ein starker Spieler“, lobte der Brasilianer, „er kann seine Kraft extrem gut nutzen.“ Die Schuld am Siegtreffer Brasiliens gab Klinsmann im Übrigen keineswegs seinen beiden düpierten Abwehrjünglingen, sondern dem zu langsamen Umschalten des gesamten Teams von Angriff auf Defensive. „Eine unglückliche Situation“ nannte es Mertesacker, auf den Punkt brachte die Sache Robert Huth: „So viel trainiert, trotzdem leider rausgeflogen.“ MATTI LIESKE

Deutschland: Lehmann - Friedrich, Mertesacker, Huth - Frings, Ernst (87. Borowski), Schneider - Deisler (83. Hanke), Ballack - Kuranyi (63. Asamoah), PodolskiBrasilien: Dida - Maicon (46. Cicinho), Lucio, Roque Junior, Gilberto - Kaká (78. Renato), Emerson, Zé Roberto, Ronaldinho - Robinho (87. Julio Baptista), AdrianoSchiedsrichter: Chandia (Chile), Zuschauer: 42.088; Tore: 0:1 Adriano (21.), 1:1 Podolski (22.), 1:2 Ronaldinho (43./Foulelfmeter), 2:2 Ballack (45./Foulelfmeter), 2:3 Adriano (76.)

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