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SCHLIMMER ALS DIE BULGARISCHE RECHTE IST DIE UNEINIGKEIT DER WÄHLEREU-Beitritt in Gefahr

Wer bislang glaubte, extremistische Parteien jedweder Couleur hätten in Bulgarien keine Chance, sieht sich seit den Parlamentswahlen vom vergangenen Samstag eines Besseren belehrt. Die Tatsache, dass eine Gruppierung wie Ataka auf Anhieb rund neun Prozent der Stimmen gewinnt, zeigt zweierlei: Mittlerweile gibt es in der bulgarischen Gesellschaft ein beachtliches Protestpotenzial, das sich durch die etablierten Parteien in keinster Weise vertreten fühlt. Und ebenjene Enttäuschten und Frustrierten glauben, sich nicht mehr anders Gehör verschaffen zu können als durch das Votum für einen kruden demagogischen Mix aus faschistoidem, menschenverachtendem Gedankengut und linksradikalen Ideen. Doch die Entwicklung spätestens seit dem Machtwechsel von 1997 gibt berechtigten Anlass zu der Hoffnung, dass die noch junge bulgarische Demokratie auch diese Herausforderung meistern wird.

Die Existenz von Ataka in der neuen Volksversammlung ist bei weitem nicht das größte Problem. Viel schwerer wiegt der Umstand, dass die Bulgaren anders als bei den vorangegangenen Wahlen diesmal keiner Partei einen eindeutigen Auftrag zur Regierungsbildung erteilt haben. Gerade diese Unklarheit, die ganz unterschiedliche Koalitionsszenarien zulässt, birgt Gefahren: beispielsweise die von zähen, sich endlos hinziehenden Koalitionsverhandlungen. Diese Entwicklung wäre fatal – vor allem für den Beitritt Bulgariens zur Europäischen Union. Sollte es nämlich zu einer Verzögerung der noch ausstehenden und von der EU dringend angemahnten Reformen kommen, wäre der geplante Beitrittstermin zum 1. Januar 2007 kaum noch einzuhalten. Nicht weniger risikoreich wären Neuwahlen – eine Variante, die bereits heftig diskutiert wird. Denn anstatt eines eindeutigen Wählervotums könnte der erneute Appell an den Souverän sogar ein noch besseres Ergebnis für Ataka zeitigen.

Auch das wäre alles andere als eine gute Empfehlung für einen Eintritt in den Brüsseler Club. Dieser Tage ist in Bulgarien oft von einem Beitritt zur EU in Würde die Rede. Jetzt sind die etablierten Parteien aufgefordert, dieses Postulat ernst zu nehmen und ihre Verantwortung gegenüber den Wählern auch wahrzunehmen. Denn die Mehrheit der Bulgaren – auch das haben die Wahlen deutlich gezeigt – will nach Europa. Doch ein Beitritt in Würde heißt nicht nur die Erfüllung der von Brüssel vorgeschriebenen Kriterien. Ein Beitritt in Würde bedeutet auch, die Menschen auf die Reise nach Europa mitzunehmen. Was bisher unterblieben ist, muss jetzt endlich beginnen: ein öffentlicher und ehrlicher Diskurs über Bulgarien in Europa. Und zwar sofort. BARBARA OERTEL

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